War das Biden-Putin-Treffen ein Erfolg?
US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin haben sich am Mittwoch in Genf getroffen. Sie einigten sich auf die Rückkehr der Diplomaten in ihre jeweiligen Botschaften, steckten ansonsten aber vornehmlich ihre Interessen ab. Die Erwartungen waren wegen des angespannten Verhältnisses zwischen den Staaten eher verhalten gewesen, die Bilanz der Kommentatoren ist nun ebenfalls gemischt.
Klare Kooperationssignale aus dem Kreml
15min hat Annäherungsbotschaften auf beiden Seiten gesehen:
„Putin hat Biden nicht erniedrigt, im Gegenteil - er schenkte ihm Komplimente, als er ihn als ethisch und professionell bezeichnete. Er zeigte ganz klar, dass er mit Biden arbeiten möchte, und Biden hat geschafft, in seinen Statements für die Medien eine zarte Balance zu finden. Er hat Putins Führungsstil nicht gelobt, sprach über Putins Russland kritisch, aber predigte nicht. Man konnte verstehen, dass auch Biden zu einer Zusammenarbeit unter bestimmten Voraussetzungen bereit ist. Der US-Präsident probierte nicht, sich einzuschmeicheln, aber er riss sich zusammen - anders als während seines Wahlkampfes, als er Putin ganz offen kritisierte. Biden kam als Diplomat nach Genf. Es bleibt offen, was uns in der Zukunft erwartet, aber das Treffen markiert einen neuen Beginn.“
Wichtiger Dialog in der Arktis-Politik
Bidens sanfter Ton könnte gute Gründe haben, meint Savon Sanomat:
„Es heißt oft, dass Russlands Macht in erster Linie auf seinen Atomwaffen und dem Sitz im UN-Sicherheitsrat beruht. Diese Sicht mag etwas eng sein und vielleicht hat die USA genau das verstanden. Flächenmäßig ist Russland das größte Land der Welt und seine nördlichen Regionen, die arktischen Regionen, werden in den nächsten Jahrzehnten strategisch im Zentrum der Weltpolitik stehen. Es spielt daher eine große Rolle, wie Russland sich in der Arktis verhält und mit wem es zusammenarbeitet. ... Biden könnte versucht haben, Misstrauen gegenüber China zu säen. Falls das gelungen ist, könnte man aus Sicht der USA von einem Erfolg sprechen.“
Ein Scheitern mit Ansage
Der rumänische Dienst der Deutsche Welle findet, dass Biden über den Tisch gezogen wurde:
„Vor dem Gipfel war Bidens Diskurs sichtbar weicher geworden, genau wie sein Elan während der Frühlingskrise in der Nähe der ukrainischen Grenze geschrumpft war. Damals hatte der US-Präsident die beiden US-Kriegsschiffe, die auf dem Weg ins Schwarze Meer waren, schnellstens zurückbefohlen. Noch schwerer wiegt, dass er dann indirekt grünes Licht für Putins Augapfel Nord Stream 2 gegeben hat. Doch einseitige Konzessionen haben in den letzten zwei Jahrzehnten keinen nennenswerten Kurswechsel in der russischen Politik bewirkt. Unter diesem Umständen und angesichts der Untaten Putins, zu denen auch die Abschaffung jeglicher Kontrolle über die Kernwaffenarsenale zählt, hätte Biden absehen können, dass er seine Ziele nicht erreichen wird.“
Mediales Störgeräusch als Höhepunkt
Népszava würdigt den Auftritt der ABC-Reporterin Rachel Scott bei Putins Pressekonferenz:
„Rachel Scott hat dem russischen Präsidenten bezüglich der immer längeren Liste verstorbener und inhaftierter Oppositioneller und der Einstufung der mit Alexei Nawalny verbundenen Organisationen als 'extremistisch' die einfache Frage gestellt, wovor er so große Angst habe. Das hat dem Befragten offensichtlich nicht gefallen. Er erklärte, dass der Grund alles Bösen die USA seien, weil sie Zivilorganisationen in Russland und 'die Opposition außerhalb des Systems' unterstützten. ... Wir gratulieren der jungen Kollegin. Für solche Momente lohnt es sich, den Journalismus als Beruf zu wählen.“
Lichtjahre von jeglicher Verständigung entfernt
Historisch war der Biden-Putin-Gipfel wahrlich nicht, erklärt Avvenire nüchtern:
„Der russische Präsident bestätigte sich als eiskalte Führungspersönlichkeit. Er beschränkte sich darauf, selbstsicher und eintönig die Schwierigkeiten in den bilateralen Beziehungen hervorzuheben und offenkundige Unwahrheiten sowohl über die Affäre des Gegners Nawalny (voller Verachtung nie namentlich genannt) als auch über die Cyber-Angriffe auf amerikanische Infrastrukturen zu wiederholen. ... Keine Fortschritte bei der Ukraine, dem ersten und echten Hindernis auf dem Weg zum Dialog mit der EU. Ein kleines kollaterales positives Ergebnis ist die bevorstehende Rückkehr der jeweiligen Botschafter, im Geiste des Pragmatismus eines nicht unbedingt 'Kalten Kriegs'.“
Biden hat das Feld klar abgesteckt
Die Differenzen sollten nicht über das Potenzial des Treffens hinwegtäuschen, meint Večernji list:
„Der Tod von Alexei Nawalny würde bedeuten, dass Russland internationale Normen nicht annehmen möchte, sagte der US-Präsident, der sich in Genf zum ersten Mal mit seinem russischen Kollegen traf und aufzeigte, welche roten Linien dieser nicht überschreiten darf, falls er ein gutes Verhältnis zu Washington wünscht. ... Biden betonte, er wolle keinen Konflikt, sondern stabile Verhältnisse - unter der Bedingung, dass Russland seine feindliche Haltung nicht nur gegenüber den USA, sondern auch gegenüber den europäischen Ländern aufgibt. ... Auch das erste Treffen zwischen Reagan und Gorbatschow in Genf 1985 startete nicht im besten Klima, führte aber zu Beendigung des Kalten Krieges.“
Fast wie Eisenhower und Chruschtschow
Auch Lb.ua zieht einen historischen Vergleich:
„Das Treffen zwischen Putin und Biden ähnelte den Genfer Gesprächen zwischen Nikita Chruschtschow und Dwight Eisenhower 1955. Da ging es um die Vereinigung Deutschlands und vor allem um die Zerstörung eines Bündnisses zwischen Moskau und Peking. Dieser Gipfel endete ergebnislos, und Chruschtschow schrieb in seinen Memoiren: 'Wir waren uns über nichts einig, haben aber gemerkt, dass wir am Verhandlungstisch reden können.' Genau das ist jetzt auch passiert. ... Es ist davon auszugehen, dass die Amerikaner - wie in der Eisenhower-Ära - ihre Versuche, die Beziehungen zu Putins Russland zu normalisieren, nicht aufgeben werden. Und Moskau weiß das. Der Grund dafür ist der Wunsch, die chinesisch-russische Allianz zu brechen.“
Russland kann sich bestätigt fühlen
Timofej Bordatschow, Programmdirektor des Putin-nahen Waldai-Clubs, sieht das Treffen in Wsgljad durchweg positiv:
„Beide Seiten machen, was sie für nötig halten. Aber wenn es gewisse Fragen zu erörtern gibt, tun sie auch dies. Das ist letztlich, was Russland immer anstrebte. Die Natur der Beziehungen zwischen den USA und Russland ist so, dass sie trotz ihrer Gegnerschaft Zugeständnisse des Partners nicht als Bedingung zur Lösung konkreter Aufgaben ansehen. Russland hat das eigentlich nie getan, aber jetzt unter Biden sind auch die USA mit diesem Ansatz einverstanden. In diesem Sinne hat der Gipfel die optimistischsten Erwartungen erfüllt und ist zum ergebnisreichsten der letzten paar Jahrzehnte geworden.“
Der Westen muss auch Ernst machen können
Der Worte sind jetzt genug gewechselt, meint Svenska Dagbladet:
„Wie es scheint, ist vor dem Hintergrund der revanchistischen Rhetorik Russlands mehr zu befürchten. Russland schafft 'Fakten vor Ort' und geht eiskalt davon aus, damit durchzukommen. Die amerikanische Politik muss versuchen, die Fakten zu ändern. Nichts zu geben oder nachzugeben. ... Die Verteidigung der Menschenrechte kann sich nicht auf Worte beschränken. Wenn Nawalny im Gefängnis stirbt, müssen die Folgen, wie Biden gewarnt hat, verheerend sein.“