Also doch Dialog? EU streitet über Umgang mit Putin
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben sich kurz vor dem EU-Gipfel für ein Treffen der EU-Spitzen mit Putin in naher Zukunft stark gemacht. Doch in Brüssel wurde der Vorstoß dann vor allem von Polen, Estland, Lettland und Litauen als verfrüht zurückgewiesen. Auch in Europas Medien scheiden sich an der Frage des richtigen Umgangs mit Moskau die Geister.
Der Genfer Gipfel hallt nach
Warum eine Annäherung gerade jetzt vorangetrieben werden soll, mutmaßt Die Presse:
„Es ist schließlich nicht so, dass Putin in den siebeneinhalb Jahren [seit dem letzten EU-Russland-Gipfel im Januar 2014] besonders eifrig an der Verbesserung des Verhältnisses Russlands zum Westen gearbeitet hätte. ... Der Kreml lässt keinen Zweifel daran, dass er das europäische Modell offener Gesellschaften mit Parteienpluralismus, Minderheitenschutz und Grundrechten für dekadent hält. ... Doch die Wirkkraft des Genfer Treffens von US-Präsident Joe Biden mit Putin lässt sich nicht leugnen. ... Kurzum: Haben Macron und Merkel sich überlegt, welche konkreten positiven Züge sie machen können, auf die Putin mit konkreten positiven Gegenzügen antworten wird? Es wird sich weisen.“
Spaltungspotential auf dem Silbertablett
Nichts Positives kann Hospodářské noviny dem Vorstoß abgewinnen:
„Anders als Amerika hat die Europäische Union keinen geopolitischen Einfluss auf Russland. Der Kreml wiederum ist in Europa mit seiner Strategie, die Einheit und den Zusammenhalt der Verbündeten zu untergraben, relativ erfolgreich. Putin in dieser Situation eine weitere Gelegenheit zu bieten, zu zeigen, dass er stark und mächtig ist und die Europäer untereinander spalten kann, ist - höflich formuliert - unvernünftig.“
Die EU akzeptiert die Fakten, die Russland schafft
Eesti Päevaleht hält die Idee, die Beziehung mit Russland durch Dialog zu normalisieren, mindestens für naiv:
„Russland hat gerade gegen Litauen einen Hybridkrieg begonnen, mit Bustransporten von illegal eingereisten Immigranten an die litauisch-belarusische Grenze. Tausend Kilometer südlich im Schwarzen Meer hat das russische Verteidigungsministerium ein britisches Kriegsschiff nahe der Krim verscheucht. ... Es gibt leider nicht die geringsten Anzeichen, dass Putins Russland die Beziehungen normalisieren will. Solche Schritte des Westens nutzt Russland aus, um die Normalität zu verzerren - dass die Krim ein Teil von Russland ist und Nawalny im Gefängnis verrottet, hat Putin zur neuen Normalität gemacht, die der Westen faktisch akzeptiert.“
Der Klügere gibt nach
Auf Spitzengespräche mit Moskau zu verzichten, wäre ein Fehler, meint die Russland-nahe Duma:
„Die EU kann nicht als Geisel der irrsinnigen Russophobie Kiews gehalten werden, das sich weigert, die Minsker Vereinbarungeneinzuhalten und darauf setzt, den Westen und Europa in eine gefährliche Konfrontation mit Russland zu bringen. Das alte Europa hat verstanden, dass Moskau die Krim nicht aufgeben wird, dass die Sanktionen nicht funktionieren und Russlands Ukraine-Politik überhaupt nicht beeinflusst haben. Es wäre ein kluger Schachzug der EU, ihren Umgang mit ihrem größten Nachbarn zu verändern.“
Putin nicht mehr Opfer spielen lassen
Ein EU-Russland-Gipfel lohnt sich selbst unabhängig von dessen konkreten Ergebnissen, glaubt das Handelsblatt:
„Der Kremlherr setzt zum eigenen Überleben auf die Isolation Russlands, das Abwenden von Europa und ein Bündnis mit China. Aber er will die Schuld dafür dem Westen zuschieben, geriert sich in der Opferrolle. Daher sind Gesprächsangebote an Moskau jetzt wichtig, nicht nur durch die EU, sondern auch seitens der G7-Staaten - um auszuloten, ob es doch noch zu einer Wiederannäherung kommen kann. Oder wer im Falle eines Scheiterns die Verantwortung trägt für einen neuen kalten Krieg.“