EU will Ungarn den Geldhahn zudrehen
EU-Komissionspräsidentin von der Leyen will nach der Sommerpause ein Verfahren gegen Ungarn wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit einleiten. Die Bedingungen dafür sind laut einem neuen Gutachten übererfüllt. Ungarn, das zuletzt mit einem Anti-LGBT-Gesetz für Unmut in Brüssel gesorgt hatte, drohen damit Mittelkürzungen. Kommentatoren beleuchten Motive und Taktiken der Streitparteien.
Im Herbst sind die Millionen schon überwiesen
Erst im Herbst etwas tun wollen ist zu spät, kritisiert die Frankfurter Rundschau:
„Allein 7,2 Milliarden Euro kann Ungarn aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU erwarten. ... Die erste Tranche ... in Höhe von mehr als 900 Millionen Euro könnte noch vor der Sommerpause nach Ungarn fließen. Die EU-Kommission sollte das Geld nicht überweisen. Das wäre eine klare Ansage an Orbán und ein deutliches Signal an die europäischen Steuerzahlenden. Sie tragen schließlich die Kosten für den Wiederaufbau nach der Pandemie, wie Kommissionspräsidentin von der Leyen zu Recht bemerkte.“
Unlautere Einmischung
Die regierungsnahe Magyar Nemzet vermutet hinter dem Vorgehen eine rein politische Motivation:
„[Die europäischen Progressisten] wollen erreichen, dass die EU-Institutionen sich mit Sanktionen der ungarischen Regierung widersetzen. ... Sprich: Sie sollen per Geldentzug in die Parlamentswahlen 2022 eingreifen.“
Offenkundige Doppelmoral
Dass die ungarische Regierung regelmäßig Respekt von der EU fordert, findet Magyar Hang nicht glaubwürdig:
„Es ist verblüffend, wie die Anhänger der heimischen, zur Autokratie neigenden (Kulissen-)Demokratie auf EU-Ebene zu leidenschaftlichen Vertretern der konsensuellen Entscheidungsfindung werden. Denn der Machtapparat der Orbán-Regierung und ihre riesige Medienmaschinerie attackieren zu Hause immer wieder ihre politischen Gegner und diejenigen, die sie sich als Zielscheibe ausgesucht haben und treten dabei die Menschenwürde mit den Füßen. ... Doppelmoral nach Art von Fidesz: Man verweigert jedem, der auch nur die mildeste Kritik äußert, den Respekt. Aber man fordert Respekt für sich selbst.“
Orbán trickst Europa aus
Ein zynisches Ablenkungsmanöver entlarvt Ungarn-Spezialistin Zsuzsanna Szelényi in La Libre Belgique:
„Der Fidesz hat ein Budget verabschiedet, dass es der Regierung erlaubt, den Ungarn vor Wahlen Summen in unbegrenzter Höhe anzubieten. Er [will] einen Campus der chinesischen Fudan-Universität in Budapest zu eröffnen, während die ungarischen Universitäten ihres Zugangs zu staatlichen und europäischen Geldern beraubt werden. ... Und der Fidesz hat Stiftungen gegründet, um Staatseigentum, zum Beispiel Universitäten und Autobahnen, zu verwalten. ... Sie schaffen einen Staat im Staate, der eine neue Regierung im Falle einer Wahlniederlage des Fidesz am Regieren hindern wird. ... Doch all diese Gesetze haben leider keine Proteste von Ursula von der Leyen, dem US-Außenministerium oder der deutschen Regierung hervorgerufen. Denn alle waren damit beschäftigt, das Anti-LGBT-Gesetz zu verurteilen.“