Woher rührt die rassistische Gewalt nach dem Finale?
Rassistische Anfeindungen haben dem EM-Finale einen bitteren Nachklang verliehen. Im Elfmeterschießen gegen Italien hatten drei junge Schwarze Spieler Englands den Ball nicht im Tor platziert. Nach der Niederlage wurden sie online Ziel eines rassistischen Shitstorms. Aufrufe zur Gewalt gegen Schwarze Menschen führten laut Berichten zu mehreren tätlichen Übergriffen.
Durch den Brexit enthemmt
Die Verurteilung der rassistischen Vorfälle durch Prinz William, den englischen Fußballverband und den britischen Premier sind unzureichend, mahnt Libération:
„Sie genügen nicht mehr, da Boris Johnson bewusst die Ausbreitung eines unerträglichen Klimas geduldet hat. Im englischen Fußball ist dieser Rassismus seit Langem präsent. In den vergangenen fünf Jahren hat er infolge des Brexits jedoch nochmal ein anderes Ausmaß erreicht. Dieses Erdbeben in der britischen und europäischen Geschichte hat ihm Tür und Tor geöffnet. Es hat das Gefühl verstärkt, dass es ok ist, sich offen rassistisch zu zeigen, in Verbindung mit einer Rhetorik der Überlegenheit der Engländer. Zweifellos hätte Boris Johnson - wäre das Wunder geschehen und England als Sieger hervorgegangen - einen Weg gefunden, um den Brexit mit dem EM-Titel zu verknüpfen.“
Britische Regierung trägt Mitschuld
Boris Johnson und Innenministerin Priti Patel haben den Nährboden für die Entgleisungen bereitet, betont The Guardian:
„Der Premierminister trug dazu bei, dass ein paar wundervolle Wochen dieses armselige Nachspiel haben konnten. Zu Beginn der Europameisterschaft weigerte sich Johnson, Zuschauer zu verurteilen, die die Spieler ausgepfiffen hatten, weil diese vor dem Anpfiff auf die Knie gegangen waren [um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen]. Johnsons Innenministerin, Priti Patel, verteidigte ebenfalls das Recht auf Buhrufe und drückte ihre persönliche Abneigung gegenüber 'Gestenpolitik' aus. ... Mit diesem Stimmungsbild von ganz oben erhielt eine rassistische Minderheit Rückendeckung, die nach der Finalniederlage ihre Chance gekommen sah.“
Wenn nicht mal William und Kate gute Verlierer sind
Auch die königliche Familie geht mit schlechten Beispiel voran, kritisiert La Stampa:
„ Ihre politische Aufgabe ist es, ein Vorbild zu sein, zu dem man aufschauen kann. … Von daher hat die königliche Familie den ersten Fehler des Fairplays begangen. Am Ende des Spiels zeigte sie sich in einer trauernden Haltung, als nähme sie an einer Beerdigung teil. William, Kate und der kleine Prinz George in einer engen Umarmung, mit düsteren Gesichtern, voller Verzweiflung. … Als wären sie Zeugen eines herzzerreißenden Todes. Aber sie waren im Wembley-Stadion und schauten sich ein Fußballspiel an. Ein solches ist wichtig, sehr wichtig - aber trotzdem nur ein Fußballspiel. Die Königin hätte niemals einen solchen Fehler gemacht.“
Weg zur Toleranz ist noch weit
Wie lange rassistische Vorfälle noch Teil des Fußballs bleiben, fragt sich der Tages-Anzeiger:
„Es ist ein unschönes Ende einer schönen EM. Und eines, das einen wieder einmal an der Lernfähigkeit der Menschheit - und durchaus nicht nur der britischen - zweifeln lässt. Die Empörung war ja schon gross gewesen, als an der EM 2012 der italienische Stürmer Mario Balotelli mit Bananen beworfen wurde. … Aber gebessert hat sich nichts, im Gegenteil. Was an dieser EM in der durch den Brexit und die Pandemie aufgeheizten Stimmung zusammenkam, hat die übelsten Erwartungen übertroffen. Todesdrohungen, Hassbotschaften, diese geballte Rohheit und Menschenverachtung: Das ist keine Fussballfolklore, sondern inakzeptabel - und in den extremen Fällen ein Thema für die Justiz. … [Das zeigt] unmissverständlich, wie weit der Weg zur Toleranz noch ist.“