Moldau: Sieg für die Präsidentin - und für Europa?
Die der EU-orientierten Präsidentin Maia Sandu nahestehende Partei Aktion und Solidarität (PAS) hat die moldauische Parlamentswahl mit 52,8 Prozent der Stimmen klar gewonnen. Die pro-russischen Kommunisten und Sozialisten unter Sandus Vorgänger Igor Dodon erreichten nur noch 27,2 Prozent. Mit ihrer bisherigen Parlamentsmehrheit hatten Dodons Unterstützer eine Regierungsbildung monatelang blockiert.
Verzweifeltes Wegrudern vom russischen Einfluss
Für Jutarnji list ist die längerfristige Hinwendung der moldauischen Wähler zu Europa keineswegs ausgemacht:
„In einem der ärmsten Länder Europas ist eine, wie der Moskauer Kommersant es nannte, 'Wahl-Revolution' geschehen, die dieses kleinste postsowjetische Land aus dem Einfluss Moskaus Richtung Europa lenkt, ob Brüssel dies will oder nicht. Moldau als armer, ungewollter, entfernter Verwandter klopft verzweifelt an die Tür Europas und entschied sich fast deklarativ für eine Änderung seiner geostrategischen Richtung. ... Moldauische Analysten meinen, nun sei Brüssel an der Reihe mit konkreten Aktionen, politische Veränderungen zu unterstützen, damit prorussische Optionen nicht wieder erstarken, die trotz dieser Niederlage nicht von der politischen Bühne verschwunden sind.“
Brüssel lockte mit Millionenhilfen
Die EU-Kommission hat Anfang Juni 600 Millionen Euro für einen Wiederaufbauplan in der Moldau gebilligt. Aber dafür erwartet Brüssel auch etwas, erklärt Kolumnist Ovidiu Nahoi in RFI România:
„Die Republik Moldau ist das einzige Land in der Östlichen Nachbarschaft, für die die EU eine solche Finanzhilfe eröffnet hat. Die Fonds werden in die Straßeninfrastruktur investiert, ins Energienetz, zur Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen, in Bildungsprojekte und dafür, eine Reform der Justiz und die Bekämpfung der Korruption zu unterstützen. ... Die Bedingung für die Freigabe des Geldes war die Einsetzung einer pro-europäischen Regierung in Chișinău – Ziel erreicht. Doch von nun an wird das allein nicht mehr ausreichen, denn die Gelder werden an die Erfüllung der versprochenen Reformen gekoppelt sein.“
Europäisierung ohne Liberalisierung fördern
WPolityce.pl bedauert, dass Polen keinen größeren Einfluss in Moldau hat:
„Sobald Berlin dort voll mit seiner Agenda auffährt, entsteht im nächsten Land eine magere Kopie des Modells der 'offenen Gesellschaft' mit dem Schwerpunkt 'LGBT-Rechte' oder Ökologie. Daher finden die polnischen Bestrebungen, die Drei-Meere-Initiative aufzubauen, ihre Bewährungsprobe in einem winzigen Land in unmittelbarer Nähe des Schwarzen Meers. Die Herausforderung ist eine von linksliberalen Ideen unberührte Europäisierung.“
Jetzt müssen Veränderungen her
Das Votum ist ein Vertrauensbeweis für Sandu, aber vielleicht auch schon ihre letzte Chance, schreibt die taz:
„Es beendet nicht nur einen monatelangen politischen Stillstand, sondern eröffnet die Möglichkeit, mit einer stabilen Regierung Sandus ambitionierte Reformagenda ins Werk zu setzen. Doch dieses Unterfangen kommt in Moldau, wo ein Großteil der Bevölkerung von rund 4 Millionen Menschen an der Armutsgrenze lebt, einer Herkulesaufgabe gleich. Die Korruption ist endemisch und mit dafür verantwortlich, dass auch mehrere liberale Vorgängerregierungen scheiterten. ... Sandu und die PAS müssen jetzt liefern. Die Zeit der Ausreden ist vorbei und die Erwartungen der Moldauer*innen sind hoch. Ihre Geduld ist schon lange aufgebraucht.“
Intaktes Gemeinwesen wichtiger als Geopolitik
Das Volk ist der ewigen Frage "pro-europäisch oder pro-russisch?" überdrüssig, meint Chefredakteur Cristian Pantazi von G4Media.ro:
„Viele Politiker haben nicht begriffen, dass der Grad der politischen Bildung in der Republik Moldau deutlich gestiegen ist. … Alle Bürger - ganz gleich ob Rumänen, Russen, Ukrainer, Bulgaren oder Gagausen - wollen eine aufrichtigere Gesellschaft, eine gesunde Wirtschaft, bessere Schulen, funktionierende Krankenhäuser oder eine vernünftige Infrastruktur. Die permanente Ost-West-Spaltung, die von den sogenannten Reformparteien der Vergangenheit, aber auch vom Duo Dodon/Voronin [Parteichefs des zweitplatzierten Blocks der Kommunisten und Sozialisten] bei diesen Wahlen vorgebracht wurde, hat die Bevölkerung ermüdet. Sie will einfach nur besser leben. Und wenn möglich, in Frieden mit allen Nachbarn.“
Linke gelten nicht mehr als sozial
Iswestija versucht zu ergründen, warum Ex-Präsident Dodon und die Linke ihre Wähler nicht haben mobilisieren können:
„Sie hätten alle Möglichkeiten und viele Ressourcen dafür gehabt. Die Antwort ist einfach und findet sich im Bereich der Psychologie, genauer gesagt in der Rezeption der Mehrheit. ... Denn die Gesellschaft hält die Vertreter der pro-westlichen Kräfte, also Sandu und ihre PAS, für die Hauptkämpfer gegen Korruption und soziale Ungleichheit. Dabei ist es ohne Belang, dass sie das gar nicht sind. Hauptsache, das Volk glaubt es. Und zwar jenes Volk, das sonst in Moldau traditionell für die Sozialisten und Kommunisten gestimmt hat.“