Turn-Star Simone Biles sagt Olympiafinale ab
Die US-Turnerin Simone Biles hat am Mittwoch ihren Start im Einzelmehrkampf bei den Olympischen Spielen in Tokio abgesagt. Als Grund dafür nannte sie ihre psychische Gesundheit. Die viermalige Olympiasiegerin von Rio war am Tag zuvor bereits aus dem Mannschaftsfinale ausgestiegen. Kommentatoren loben den Schritt der 24-Jährigen als mutig und hoffen, dass sie auch außerhalb des Sports zum Vorbild wird.
Verwundbarkeit noch immer ein Tabu
Über seine Schwächen zu sprechen erfordert viel Courage, lobt El Mundo:
„Ebenso bewundernswert wie ihre legendären Pirouetten in der Luft ist nun der Mut, mit dem sie die Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit öffentlich macht. Im kollektiven Bewusstsein symbolisieren die Olympischen Spiele den Gipfel der Perfektion, der Anstrengung und des Erfolgs. Und nun zeigt ausgerechnet die perfekteste aller Turnerinnen ihre Verwundbarkeit. Mit diesem Schritt legt Biles ein Tabu im Profisport offen: die Probleme, die hervorgerufen werden können durch den Erfolg, durch die von den Sportlern erwartete enorme Anstrengung, durch den immensen Einsatz, der fast keine Grenzen kennt.“
Körper und Geist sind eine Einheit
Wir vergessen oft, dass Sport nicht nur athletische Höchstleistung erfordert, meint The Irish Independent:
„Wäre es ihr Arm gewesen, der sie an der Teilnahme gehindert hätte, wäre die Erzählweise eine andere gewesen. Für die Leistung, die Biles erbringt - die übrigens schon Titel mit gebrochenen Zehen und einem Nierenstein gewonnen hat - braucht es einen gesunden Körper und einen gesunden Kopf. ... Die Trennung von geistiger und körperlicher Gesundheit ist dabei schädlich. Wenn der Kopf als Teil der 'körperlichen Gesundheit' gesehen würde, wären Menschen wie Biles und Naomi Osaka - der Tennisstar, der sich aus den diesjährigen French Open zurückzog - nicht Gegenstand weltweiter Kommentare, die von Glückwünschen für ihre Ehrlichkeit bis zu Vorwürfen für mimosenhaftes Verhalten rangieren.“
Ein Meilenstein für die Generation Z
Diese Stellungnahme wird vielen jungen Menschen helfen, ist Dagens Nyheter überzeugt:
„Ständig wird die Generation Z beschuldigt, verwöhnt und verhätschelt zu sein. Aber nur wenige bekommen alles auf dem Silbertablett serviert; im Gegenteil hat diese Generation vergleichsweise viel mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen. Der Anteil junger Erwachsener, die wegen psychiatrischer Diagnosen behandelt werden, ist in den letzten Jahrzehnten lawinenartig gestiegen. Über die Ursachen kann man nur spekulieren. ... Wenn sich Biles und Osaka entscheiden, offen über ihre Probleme zu sprechen, kann das dazu beitragen, dass Millionen Kinder und junge Menschen verstehen: Es kann jeden treffen. Die USA mussten sich im Mannschaftsfinale mit Silber zufrieden geben. Aber Biles' Offenheit ist Gold wert.“
Auch in der Wirtschaft zählt nur Gold
Das Handelsblatt hofft, dass der Schritt der Sportlerin zum Vorbild auch über den Sport hinaus wird:
„[E]r kann Vorbild sein für viele ganz oben in der Wirtschaft, die an Angststörungen leiden. Das ist bis heute das große Tabuthema in der Welt von Managern. Aktionäre, Mitarbeiter und Kunden wollen stets das lächelnde Gesicht des Siegers, auch hier ist Gold Pflicht. Und so nimmt man lieber Prozac, als übers Gemüt zu reden. ... In der Pandemie sind die psychischen Probleme noch größer geworden. Die Burn-out-Fälle stiegen bei Führungskräften um 80 Prozent. Eben noch waren sie 'unverzichtbar', nun heißt es: besinnen statt gewinnen.“