Tokio 2020: Wie war's?
In Tokio sind am Sonntag die Olympischen Sommerspiele 2020 zu Ende gegangen. Ob der Funke des universalen Geistes und der dahinter stehenden Werte trotz Corona und leerer Stadien übergesprungen ist, beurteilen Europas Kommentatoren höchst unterschiedlich.
Ein heilsam verbindendes Ereignis
Gerade weil man Olympia auch sonst nur im Fernsehen sieht, war trotz Corona alles, wie es sich für die Spiele gehört, freut sich Kolumnistin Tanya Joseph in Financial Times:
„Hier fand endlich etwas statt, an dem jeder überall teilnehmen konnte. Und weil es sich um die Olympischen Spiele handelte, war Abstandhalten kein Thema. Nur sehr wenige von uns hatten je das Privileg, den Olympischen Spielen am Austragungsort selbst beizuwohnen. Wir sind es gewohnt, sie in unseren eigenen vier Wänden im Fernsehen zu verfolgen. Im Zeitalter von Social Media, sich ausbreitenden digitalen Plattformen und TV-on-Demand sind die Spiele eine besondere Ausnahme: ein wahrhaft gemeinschaftliches globales Medienereignis. ... Die Olympischen Spiele verbinden uns.“
Keine Spur vom olympischen Geist
Als kommerzielle Pflichtveranstaltung ohne Seele sieht Jutarnji list die nun beendeten Spiele:
„Vor eineinhalb Jahren, als das IOC offiziell die Olympischen Spiele in Tokio auf Juli und August 2021 verschob, kündigte man die Spiele zum neuen Termin als 'Sieg über die Pandemie, als Feier des Lebens von einst' an. Doch wir sind weit entfernt von all dem. Weder Sieg noch Feier, [es blieb] nur reines Abarbeiten, um aus dem, was übrig ist, so viel Geld zu machen wie möglich. ... In den Büchern wird stehen, dass die Olympischen Spiele in Tokio 2020 stattfanden. Aber der olympische Geist hat ein Olympia übersprungen.“
Endlich standen Werte wieder im Vordergrund
Gerade eine Rückkehr zu den ursprünglichen Werten beobachtet hingegen El País:
„Angesichts der Bedrohung durch das Virus trat diesmal die Bedeutung rein sportlicher Leistungen in den Hintergrund. ... Seiko Hashimoto, die Vorsitzende des Organisationskomitees, sprach von 'Mut'. Es ist ein gutes Wort, das sehr gut zu den großen Werten hinter den Spielen passt. Sie waren vor langer Zeit durch den Wunsch, neue Rekorde zu brechen, verwischt worden: Universalität, Fair Play, Solidarität. ... Tokio hat die Welt in ihrem Kampf gegen die Auswirkungen einer verheerenden Pandemie ermutigt. “
Spiele der Menschlichkeit
Die außergewöhnlichen Umstände haben das Leid und die Mühen der Athleten in den Vordergrund treten lassen, würdigt NRC Handelsblad:
„Manche hatten die Karriere wegen des Virus um ein Jahr verlängert, den Abschied ausgesetzt. Es war ein Jahr wie nie zuvor, oft in Isolation verbracht aus Angst, dass alle Arbeit und Aufopferung umsonst war, wenn man sich kurz vor dem Ziel doch noch infizieren sollte. 33 Sportler (und Teammitglieder) landeten im Alptraum. Sie mussten die größte Enttäuschung ihrer Karriere allein auf einem Zimmerchen verarbeiten. Das führte zu herzzerreißenden Szenen, die die Spiele bisweilen überschatteten. Aber das Leid sorgte auch dafür, dass es mehr Raum und Mitgefühl für den Menschen hinter dem Sportler gab. “