Impfpflicht in Österreich: Vorbild für Europa?
Ab 1. Februar 2022 soll es in Österreich eine allgemeine Impfpflicht geben. Das Land hat derzeit eine der weltweit höchsten Covid-Inzidenzen. Bisher gelten in verschiedenen Staaten der EU wie Frankreich oder Griechenland nur berufsbezogene Impfpflichten. Einige Kommentatoren finden nun, dass der österreichische Vorstoß europäische Nachahmer finden sollte - oder zumindest eine eingängige Diskussion verdient.
Alle Möglichkeiten ausgeschöpft
Kainuun Sanomat begrüßt die österreichische Entscheidung:
„Wir haben das Recht zu entscheiden, ob wir geimpft werden wollen oder nicht. Das ist ein großes Recht. Es bringt aber auch eine große Verantwortung mit sich, in diesem Fall die Verantwortung für das Leben. ... Wer kann es sich leisten, in einer Situation, in der wir alle, ohne es zu wissen, eine Waffe tragen können, den Schöpfer zu spielen? … Wenn ein europäisches Land beschlossen hat, eine Impfpflicht einzuführen, ist das dann nicht eine klare Botschaft an andere Länder? Es wurde lange genug über Alternativen nachgedacht, von Pässen bis hin zu einer zeitlichen Beschränkung des Kneipenbesuchs.“
In der Slowakei schwer durchsetzbar
Der Slowakei würde es helfen, wenn zu einem Lockdown auch die Impfpflicht käme, glaubt Pravda, hält das aber für unwahrscheinlich:
„Die Impfkampagne stagniert immer noch, obwohl sie sich in den letzten Tagen etwas beschleunigt hat. ... Obwohl die Justizministerin behauptet, dass es keine verfassungsrechtlichen Hindernisse für eine Impfpflicht gebe, ist das nicht so einfach. Würden wir sie einführen, müsste der Staat jeden entschädigen, dessen Gesundheit durch den Impfstoff Schaden nimmt. ... Ministerpräsident Heger spricht daher vorerst nur von einer Impfung der Menschen 60+ oder 50+ und will dafür ein Verfassungsgesetz vorlegen. Ob das jedoch eine Chance hat, im Parlament verabschiedet zu werden, steht in den Sternen.“
Wohl nötig, aber bitte breit abgestützt
An welchem Punkt eine Impfpflicht auch für Deutschland unausweichlich wird, müssen gewählte Volksvertreter entscheiden, fordert die Süddeutsche Zeitung:
„'Schwarz' oder 'Weiß' ist einem Thema mit unendlich vielen Graustufen nicht angemessen. ... [Die Debatte] gehört in den Ethikrat, die Fachleute der WHO gehören einbezogen. Vor allem aber: Im deutschen Parlament muss diese Frage debattiert werden. Falsch ist eine Pandemie-Bekämpfung, die entweder nichts tut oder zu wenig, oder bruchlos zu den schärfsten denkbaren Maßnahmen greift. Wenn die Impfquote trotz aller Bemühungen nicht steigt, das Virus mutiert, wenn auf die vierte eine fünfte Welle folgt, wird eine Impfpflicht ohnehin unausweichlich werden. Aber das Ja zu einer solchen Maßnahme darf man sich nicht so einfach machen wie das Nein am Beginn dieser Pandemie.“
Österreich ist kein Vorbild
Die Einführung der Impfpflicht ist Ausdruck politischen Versagens, erinnert Profil:
„Die gewählten Repräsentanten des Volkes waren nicht fähig oder nicht willens, die Pandemie im Rahmen des Möglichen und des Zumutbaren zu meistern. ... Die völlige Tatenlosigkeit der Politiker geht nahtlos über in die Verordnung der schärfsten denkbaren Maßnahmen durch eben jene Politiker. Daher ist Österreich mit seiner Impfpflicht auch nicht ein Vorbild für den Rest der Welt. Vielmehr ist sie zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Notmaßnahme, die von den selbst verschuldeten Umständen erzwungen wurde.“
Der Willkür Tür und Tor geöffnet
Menschen dazu zu zwingen, sich bestimmten medizinischen Behandlungen oder Eingriffen zu unterziehen, geht in einer liberalen Demokratie eindeutig zu weit, empört sich The Daily Telegraph:
„Diejenigen, die sich weigern, sich impfen zu lassen, sind vielleicht unklug, vielleicht auch egoistisch. Aber wenn sie nicht einmal selbst entscheiden dürfen, welchen medizinischen Eingriffen sie sich unterziehen und welche Medikamente sie ihrem Körper zumuten, dann ist von ihrer menschlichen Entscheidungsfreiheit nicht mehr viel übrig. Willkürherrschaft und endloser gesellschaftlicher Zwietracht sind Tür und Tor geöffnet. Der Rest von uns sollte sich das klarmachen und erkennen, wie leicht die liberale Demokratie durch Angst untergraben werden kann.“
Letzte Rettung für das Gesundheitssystem
Die Regierung in Wien musste in einer verzweifelten Lage Flagge zeigen, meint die Kleine Zeitung:
„Die Impfpflicht bedeutet, dass Impfverweigerer künftig mit Verwaltungsstrafen belegt werden können. Und es könnten daraus sogar noch weitere Maßnahmen abgeleitet werden, etwa ein Selbstbehalt in Bezug auf die Behandlungskosten bei vorsätzlicher Missachtung der Impfpflicht. Es geht um die Aufrechterhaltung des [Gesundheits-]Systems, und es wurde dem letzten Zweifler angesichts der Entwicklung der vergangenen Tage klar, dass die Freiwilligkeit nicht genügt und verstärkt Druck auf die Impfverweigerer ausgeübt werden muss.“
Viel zu spät reagiert
Der Schritt ist ein Eingeständnis des Scheiterns, urteilt Financial Times:
„Es half nicht, dass die Regierung im Sommer, als die Impfkampagne noch lange nicht abgeschlossen war, erklärte, die Pandemie sei 'bewältigt' und die Krise 'gemeistert'. Österreich hatte einen Covid-Pass, aber dessen Auswirkungen wurden durch leicht verfügbare kostenlose Tests abgeschwächt. Beschränkungen für Ungeimpfte sind diskriminierend und spalterisch, sie hätten aber möglicherweise die Bereitschaft erhöht, sich impfen zu lassen, wenn sie früher eingeführt worden wären. Die Impfpflicht - so weit sollte letztlich keine Regierung gehen – ist ein Eingeständnis des Versagens Wiens. ... Die dortige Regierung ist leider nicht die einzige, die enttäuscht hat.“
Verabsolutierung körperlicher Freiheit ist vormodern
Die Impfpflicht apodiktisch auszuschließen, war ein Fehler, meint Hinnerk Wißmann, Professor für Öffentliches Recht, in der Tageszeitung Die Welt:
„Das Infektionsschutzgesetz kannte Impfpflichten seit jeher und kennt sie auch jetzt; für alle Kinder gilt – über die Schulpflicht – die Pflicht zur Masernimpfung, für ihre Lehrer und Erzieher auch. Warum Gleiches nicht in Sachen Corona etwa für alle Rentner sowie ihre Pfleger gelten soll, erschließt sich nicht. ... Die gegenwärtige Scheu vor der Impfpflicht ist eine ganz merkwürdige, eigentlich vormoderne Verabsolutierung der Leiblichkeit – als ob Menschen durch Armut, Dummheit, geistigen Zwang nicht genauso bedrängt werden könnten wie durch die Überschreitung der Hautbarriere.“
Normales Leben muss für alle möglich bleiben
Eine verpflichtende Impfung auch in Dänemark einzuführen, wäre falsch, meint Politiken:
„Auch wenn Impfungen der Ausweg aus der Pandemie sind, ist der Gedanke der Sonderregeln falsch. 2G-Regeln wie in Österreich würden die Pandemie, die auch von 600.000 ungeimpften Schulkindern getrieben wird, kaum beenden. Insbesondere wäre es nicht hinnehmbar, Menschen zu Impfungen zu drängen durch so strikte Restriktionen, dass sie ein normales Leben verhindern. Auch während einer Pandemie hat man das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden. ... Gemeinschaftsgeist beinhaltet Respekt für diejenigen, mit denen man nicht einverstanden ist.“
Impfen allein reicht nicht
Um die Delta-Variante komplett einzudämmen, braucht es mehr als hohe Impfquoten, bemerkt Visão:
„Der Impfstoff hilft, aber er löst das Problem nicht. Er muss mit Einschränkungen verbunden sein. Der reale Test zeigt uns: Länder, die vollständig geimpft sind, oder solche mit sehr hohen Raten, die alle Beschränkungen aufgehoben haben, wie es in Europa, einschließlich Portugal, der Fall war, sind nun in der fünften Welle versunken. ... Man geht davon aus, dass es erst dann Ruhe geben wird, wenn die Impfstoffe der zweiten Generation und hochwirksame Medikamente auf den Markt kommen, was noch nicht der Fall ist, und man eventuell weiterhin Teile der Bevölkerung mit verbindlichen Schutz- und Abstandsregeln schützt. “