Frankreich: Welche Chancen hat Valérie Pécresse?
Les Républicains, Frankreichs Konservative, schicken Valérie Pécresse ins Präsidentschaftsrennen 2022. Die Chefin der Region Ile de France setzte sich per Stichwahl gegen den Rechtsaußen Eric Ciotti durch. Einstige Mitfavoriten wie Brexit-Unterhändler Michel Barnier waren bereits früher gescheitert. Kommentatoren erörtern, ob sich Pécresse neben Macron und den Ultrarechten Zemmour und Le Pen behaupten kann.
Zwei Drittel Merkel, ein Drittel Thatcher
Die konservative Kandidatin überrascht El Periódico de Catalunya positiv:
„Die Republikaner, die 2017 durch die Korruption ihres Kandidaten zu Fall gebracht wurden, leben anscheinend wieder auf. ... ... Pécresse ist wirtschaftsliberal, legt Wert auf Sicherheit (ohne Le Pens Überzeichnungen) und definiert sich selbst als zwei Drittel Merkel und ein Drittel Thatcher. ... Wenn Valérie Pécresse mit ihrer modernen Sprache ihre Position festigt, könnte sie auf zwei Arten in die zweite Runde kommen. Entweder, indem sie vor Le Pen und Zemmour bleibt. ... Es könnte aber auch passieren, wenn auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit, dass Macron in der ersten Runde nur wenige linke Wähler für sich gewinnt, hinter Valérie Pécresse zurückfällt und ausscheidet.“
Für Macron die bislang größte Herausforderung
Schafft es Pécresse in die Stichwahl, ist einiges möglich - doch diese Hürde ist groß, meint The Irish Times:
„Pécresse ist eine potenziell starke Kandidatin, die allerdings vor der schwierigen Aufgabe steht, Unterstützung von zwei sich feindlich gegenüberstehenden Wählergruppen zu brauchen, von Rechten und von der Mitte. ... Als sich Mitte-Links und Mitte-Rechts im Vorfeld zur Präsidentschaftswahl 2017 gegenseitig zerfleischten, konnte Macron durch die Mitte schlüpfen und einen überraschenden Wahlsieg erringen. Sollte er auf dieselbe Gegnerin treffen, also Marine Le Pen von der rechtsextremen Rassemblement National, wird er wahrscheinlich wiedergewählt. Die Kandidatur von Valérie Pécresse stellt daher bislang die größte Gefahr für Macron dar, aber ob sie es überhaupt in die zweite Runde schafft, ist bislang noch unklar.“
Nun wird der Wahlkampf wieder spannend
Die früheren Favoriten um den Einzug in den Elysée-Palast bekommen starke Konkurrenz, bemerkt die Aargauer Zeitung:
„Der Rechtspopulistin Marine Le Pen sitzt der 'Trumpist' Eric Zemmour im Nacken. Und dem in den Umfragen bisher souverän führenden Präsidenten Emmanuel Macron wird plötzlich eine solide, telegene und gutbürgerliche Mitbewerberin gefährlich. Denn Pécresse mobilisiert die gleiche Wählerschaft der rechten Mitte. In der zunehmend fahrigen, schnelllebigen Politik Frankreichs haben alle vier eine Chance, in die Stichwahl vorzustossen. Das langjährige Duell Macron-Le Pen ist längst nicht mehr die einzige denkbare Konstellation.“
Rechtsdrift vermeiden
Le Temps begrüßt die Nominierung, sieht Pécresse aber auch in der Pflicht:
„Dass sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Frau zu ihrer Kandidatin gemacht haben, und dass dieser allgemein große Kompetenz zugeschrieben wird, ist für die Republikaner, die 2017 gewonnen hätten, wenn ihnen nicht jene Affäre François Fillon das Genick gebrochen hätte, eine Chance. Nun steht Valérie Pécresse in der moralischen Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die wirtschaftlichen und sozialen Visionen, die sie für das Land hat, in dieser aufgeheizten, wütenden Stimmung nicht mit den souveränistischen, fremdenfeindlichen und reaktionären Theorien verschmelzen, die Frankreich gerade aufrütteln.“
Droht Konservativen die Bedeutungslosigkeit?
Público sorgt sich um die demokratische Rechte:
„Macron hat versprochen, Frankreich zu reformieren - eine Mammutaufgabe in einem Land, das, wie man sagt, immer die Revolution vorzieht. Auf dem Weg dorthin zerstörte er die alte sozialistische Partei. ... Um zu gewinnen, muss der Präsident diesmal nicht mehr die Linke 'in die Luft sprengen'. Was auf dem Spiel steht, ist die Zukunft der demokratischen Rechten. Wenn es Les Républicains nicht gelingt, sich aus den Armen der hartnäckigen Macron-Le Pen-Zemmour-Zange zu befreien und sie es wieder nicht in die zweite Runde schaffen, drohen sie Analysten zufolge zu implodieren und das gleiche Schicksal zu erleiden, wie die Sozialisten nach 2017. Einmal mehr hält das demokratische Europa den Atem an.“
Es gibt reichlich Lücken zu füllen
Für Causeur ist eine republikanische Rechte gerade nötiger denn je:
„Das heißt: Eine, die bereit ist, alles zu tun, um Frankreich und seine Identität zu verteidigen und die Franzosen zu schützen. Und die sich dabei weniger um die Einhaltung abstrakter nationaler und europäischer Prinzipien schert als um wirksame Waffen, mit denen sich ein grunderneuerter Rechtsstaat wird ausstatten müssen. ... Wo man aus der Gegenwart floh, wo Pflichten vergessen wurden, um die Wiederwahl zu sichern, wo Frankreich abgewertet wurde, um den Gegnern zu gefallen, wo ein hitziger Erinnerungskult praktiziert wurde, um sich an der Vergangenheit zu laben, dort wird die Rechte von heute, die bisher tadellose Arbeit geleistet hat, einen Gegenentwurf aufstellen: mit Klarheit, Deutlichkeit, Entschlossenheit und Pflichtbewusstsein.“