Missbrauchsfälle: Benedikt reagiert auf Gutachten
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat nach längerem Schweigen auf das ihn belastende Gutachten zu Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Erzbistum München und Freising reagiert. In einem Brief bittet er die Opfer um Verzeihung. Gleichzeitig weist er die Vertuschungsvorwürfe gegen sich entschieden zurück. Pressestimmen sind uneins: Ist das nun eine aufrechte Entschuldigung oder realitätsfern?
Mit Tränen der Aufrichtigkeit geschrieben
Tief beeindruckt von Benedikts Schreiben zeigt sich das katholische Blatt Avvenire:
„Es gibt Briefe, die nur mit Tränen, der Tinte des Herzens, geschrieben werden können. Wenn der Schmerz die Brust zersprengt und die Pflicht zur Wahrheit stärker wird als die Scheu, sich zerbrechlich zu zeigen. Dann werden Titel und Rollen zweitrangig. Man steht allein vor den Menschen, die auf eine Antwort warten. Vor ihnen, vor allem wenn sie unschuldige Opfer von Gewalt und schuldhafter Gleichgültigkeit sind, darf man nicht lügen. Das fordern ihre Augen und dein Gewissen. ... Nur an einer Stelle schlägt der Ton um: Der emeritierte Papst sagt, er sei 'tief betroffen', dass ein Versehen dazu benutzt worden sei, seine Aufrichtigkeit anzuzweifeln oder ihn 'sogar' als Lügner darzustellen.“
Wie aus einem Paralleluniversum
Die Stellungnahme ist eher ein Beleg für die veralteten Strukturen als für einen vermeintlichen Wandel, findet der Tages-Anzeiger:
„Selbst wenn es Ratzinger zumindest aus Sicht seiner Anhänger gelungen sein sollte, den einen oder anderen Vorwurf gegen ihn abzuschwächen, bleibt seine Erklärung ein erschütterndes Dokument. Erschütternd nicht, weil er Partei für die Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche ergriffen hätte ... Erschütternd ist die Erklärung nur in einer Hinsicht: Sie kommt aus einer anderen Welt, einem Paralleluniversum weniger des Glaubens, als uralter Machtstrukturen und Deutungsmuster.“