Neuer Verteidigungsdruck verändert Europa
Der Krieg in der Ukraine zwingt Europa zu schnellem Handeln. In vielerlei Hinsicht bedeutet das ein radikales Umdenken der bisherigen Prämissen, vor allem in der Verteidigungspolitik. Was bedeutet das für die Zukunft Europas?
Europa wird endlich erwachsen
Die jüngsten Herausforderungen stärken Europas Selbstvertrauen, meint Kathimerini:
„Die USA haben es geschickt verstanden, den europäischen Staats- und Regierungschefs den Vortritt zu lassen. Die Veränderungen kamen schnell und sie sind tektonisch. Deutschland nahm seine Verteidigung ernst. Finnland diskutiert über die Nato-Mitgliedschaft. Borrell sah aus wie ein Priester, der zum ersten Mal zur Waffe greift. Selbst Orbán war gezwungen, seine Haltung teilweise zu ändern. Aus der Not heraus wurde ein neues Europa geboren. Erst Trump, dann die Pandemie und jetzt die Ukraine-Krise haben gezeigt, dass es an der Zeit ist, erwachsen zu werden. ... Auch Griechenland wird seine Rolle finden und den ihm zustehenden Platz im neuen Europa einnehmen.“
Die negative Seite der notwendigen Schritte
Europas Aufrüstung ist von jetzt an ein notwendiges Übel, meint der Politologe Zoltán Gábor Szűcs in Mérce:
„Manchmal haben auch die richtigen Handlungen tragische Verluste zur Folge. Ein schwer bewaffnetes Europa, eine neue militärische Supermacht wird auf jeden Fall ein solcher Verlust sein. Erstens, weil jeder einzelne für eine europäische Armee ausgegebene Euro bedeutet, dass ein Euro weniger in den Aufbau einer friedlicheren Welt geht. Zweitens, weil jeder neue Panzer, jedes Flugzeug oder jede Rakete für die europäische Armee weitere Bewaffnung [in anderen Ländern] provoziert.“
Mariupol bleibt ein Stein auf Europas Gewissen
Europa muss hilflos zusehen, wie die Ukraine leidet, schreibt Público:
„Die Barbarei des Krieges, die Verletzung des Völkerrechts oder so grundlegender Werte wie das Leben unschuldiger Menschen finden weiterhin statt, denn Putin sind die öffentliche Meinung, das menschliche Leid, das Recht und die Moral gleichgültig. Und er weiß, dass der Schutz eben dieser Werte in Europa das Eskalationsrisiko verringert. Langfristig werden die Demokratien Recht bekommen und Moskaus aggressiver Imperialismus wird besiegt werden. Doch wenn dieser Tag kommt, wird das, was jetzt in Mariupol oder Charkiw geschieht, nicht aufhören, das Gewissen der Europäer zu belasten.“
Es reicht nicht aus, eine Straße umzubenennen
Diena erwartet von Lettlands Politik klare Positionierungen statt symbolischer Handlungen:
„Anstatt der Ukraine reale militärische Hilfe zu leisten, betreiben einige Politiker aus den Regierungsparteien echten Populismus. Sie rufen zum Abriss von Denkmälern [wie das 1985 errichtete Monument für die Sowjetarmee] auf und riskieren damit heftige Auseinandersetzungen. Sie benennen Straßen um [die Adresse der russischen Botschaft in Riga wird künftig 'Straße der Ukrainischen Unabhängigkeit' heißen], entziehen und verleihen die Staatsbürgerschaft und staatliche Auszeichnungen. Aber das Volk wartet immer noch auf eine dem Einmarsch Russlands in die Ukraine angemessene Rede des Präsidenten.“