Ukraine und Russland verhandeln in der Türkei
In der Türkei treffen sich am heutigen Donnerstag Russlands Außenminister Sergej Lawrow und sein ukrainisches Gegenüber Dmytro Kuleba zu Verhandlungen. Es ist das erste Treffen hochrangiger Vertreter beider Länder seit Beginn des Kriegs. Die Erwartungen aus Europas Kommentarspalten an die Gespräche sind dennoch gering.
Balanceakt für Ankara
Die Türkei pflegt Beziehungen zu beiden Kriegsparteien. Eine schwierige Rolle, analysiert De Volkskrant:
„Für die Türkei steht viel auf dem Spiel. Die Hälfte ihrer Energieversorgung kommt von russischem Gas. Sie hat das Luftabwehrsystem S-400 in Moskau bestellt. Es gibt viel wechselseitigen Handel und normalerweise wird die Türkei jährlich von fünf Millionen russischen Touristen besucht. ... Auch in Syrien kann Russland den Türken das Leben schwer machen. ... Das heißt also Balancieren für Ankara. Einerseits bleibt die Türkei auf Nato-Kurs: Sie hat den Bosporus für russische Kriegsschiffe gesperrt und der Ukraine sogar Drohnen geliefert, die jetzt erfolgreich gegen russische Panzer und Armeefahrzeuge eingesetzt werden. Andererseits will sie Moskau als Freund behalten.“
Zeit für Frieden noch nicht reif
Es braucht Zugeständnisse von beiden Seiten, erklärt der ehemalige türkische Botschafter für die Sowjetunion und Russland, Volkan Vural, in T24:
„Um diesen Krieg zu beenden, müssen beide Seiten an einen Punkt kommen, an dem sie sich nicht auf das Erreichen aller ihrer Ziele konzentrieren, sondern stattdessen auf ihre Grundbedürfnisse. ... Zugegebenermaßen scheinen beide Parteien für ein solches Abkommen noch nicht bereit zu sein. Im Gegenteil setzt Russland seine militärischen Angriffe fort, während die Ukraine sich entschlossen zeigt, Widerstand zu leisten. ... Sollte Russland keinen Wandel erleben, der Flexibilität zulässt, erwartet unsere Welt dunkle Szenarien wie ein noch verheerenderer Krieg und den Zusammenbruch der globalen Wirtschaft.“
Der Westen lässt Kyjiw wenig Spielraum
Die Ukraine wird wohl den Vorschlag des israelischen Premierministers Naftali Bennett akzeptieren müssen, um Schlimmeres zu verhindern, glaubt der oppositionelle russische Politologe Andrej Piontkowskij auf NV:
„Grob gesagt, verzichtet Moskau [wenn es den Bennett-Plan unterstützt] auf eine Besetzung der gesamten Ukraine und behält Donezk, die Oblast Luhansk und die Krim, während die Ukraine zusagt, nicht der Nato beizutreten, ihre Neutralität erklärt und sich sozusagen damit abfindet, dass die Krim und der Donbass russisch bleiben. Das klingt sehr nach Kapitulation. Doch es fällt schwer, der Ukraine deswegen Vorwürfe zu machen. Denn dies wird genau an dem Tag angeboten, an dem der Westen buchstäblich seine Hilflosigkeit und seinen Unwillen demonstriert, die Ukraine auch nur minimal zu verteidigen.“