Österreichs Kanzler Nehammer zu Gespräch bei Putin
Nun versucht Österreichs Bundeskanzler Nehammer eine Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg: Als erster EU-Regierungschef seit dem russischen Angriff reiste er am Montag nach Moskau, um Russlands Präsident Putin persönlich zu treffen. Der Kanzler forderte eine Aufklärung der Kriegsverbrechen wie dem in Butscha. Kommentatoren diskutieren, ob dieser Besuch etwas an der aktuellen Situation verändern kann.
Einen Spalt für Gespräche offen halten
Radio Kommersant FM hofft, dass der Besuch dazu beiträgt, eine Blockade des Verhandlungsweges zu verhindern:
„Jemand muss eben als Botschafter des guten Willens auftreten, um den Grad der Spannung zu mindern und mit kühlem Kopf halbwegs emotionslos die Lage erörtern zu können. ... Offenbar war Moskau diesem Vorgang nicht abgeneigt. Prinzipiell liegt das Problem darin, dass nach den Ereignissen von Butscha das Schicksal der russisch-ukrainischen Gespräche in der Luft hängt ... Das Thema 'Verhandlungen' ist in den Hinterhof abgeschoben worden und es ist unklar, wie man sie da wieder herausholen kann. Wollen wir hoffen, dass der Besuch des österreichischen Kanzlers dabei irgendwie hilft.“
Moral spielt für den Kreml keine Rolle
Der ÖVP-Politiker wäre besser beraten gewesen, zu Hause zu bleiben, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Moralisch sein, aufklären - beides ist sehr löblich und doch vor allem sehr naiv. Die Kriegsverbrechen sind gewollt. Die Realität ist bekannt. Wer immer noch glaubt, Putin sei nur schlecht informiert oder werde von seinen Hofschranzen in die Irre geführt, der leugnet bis heute, dass genau das die Strategie des Kreml ist: die Ukraine und die Ukrainer zu zerstören. Und danach alle, die sich Putin und seinen irren Ideologen in den Weg stellen. Moral ist eine Kategorie, die man im Kreml nicht akzeptiert. ... Der russische Präsident ... wird Nehammer und seine Botschaft benutzen. Oder ignorieren. In Moskau bestimmt nämlich Wladimir Putin die Regeln.“
Zu unbedeutend, um Moskau umzustimmen
Die Kleine Zeitung bezweifelt, dass Österreich im Kreml etwas bewirken kann:
„Dass angesichts der russischen Barbarei in der Ukraine alles unternommen werden muss, um der Aggression Einhalt zu bieten, stellt niemand in Abrede. … Militärisch wird man die Atommacht Russland nie in die Knie zwingen. Nur muss die Frage erlaubt sein, ob Nehammer tatsächlich in Moskau etwas erreichen kann - oder ob sich nicht Putin insgeheim ins Fäustchen lacht, mit dem Empfang des Kanzlers im Kreml einen publikumswirksamen Keil in die Front des Westens zu treiben? Um Frieden zu schaffen oder humanitäre Lösungen zu erreichen, genügt kein einmaliger Besuch beim Aggressor … Vor allem fehlt Österreich das geopolitische Gewicht, um Dinge in Bewegung zu setzen.“