Wie geht der Ukraine-Krieg nach dem 9. Mai weiter?
In seiner Rede zum "Tag des Sieges" hat Putin weder offiziell der Ukraine den Krieg erklärt, noch eine Generalmobilmachung des Landes angeordnet. Welche Erwartungen und Befürchtungen mit dem Tag verknüpft waren und wie groß dessen Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf eingeschätzt wurde, zeigt ein Blick in die Kommentare, die unmittelbar vor Putins Rede veröffentlicht wurden.
Generalmobilmachung wäre innenpolitisches Risiko
Warum Putin davor zurückschreckt, das Volk zu den Waffen zu rufen, erklärt Wirtschaftsprofessor Konstantin Sonin in einem Facebook-Post:
„Mir scheint die Verkündung einer Generalmobilmachung unwahrscheinlich. Nach 30 Jahren, in denen der Armeedienst für die privilegierten Gesellschaftsschichten faktisch freiwillig war, wäre es zu mutig, Hunderttausende junger Leute in einen echten und unbeliebten Krieg zu rufen. Putin und sein Umfeld handeln meist feige, sie ziehen es vor, Risiken zu vermeiden und nur anzugreifen, wen sie für definitiv schwach halten. ... Andererseits, wenn Entscheidungen von so unzurechnungsfähigen und inkompetenten Personen getroffen werden wie im Falle des Angriffs auf die Ukraine, ist alles möglich.“
Kriegserklärung unwahrscheinlich
Aus militärischer Sicht wird sich durch den 'Tag des Sieges' nichts Substanzielles ändern, glaubt der ukrainische Menschenrechtler Pawlo Lisjanskij auf 24tv.ua:
„Ich glaube nicht, dass Putin der Ukraine am 9. Mai den Krieg erklären wird. Erstens: Mit einer Kriegserklärung würden sie ja zugeben, dass sie die sogenannte 'Spezialoperation' verloren haben, und müssten dann die Bevölkerung mehr einbeziehen, weil das russische Militär versagt hat. ... Zweitens glaube ich nicht, dass etwas Neues passieren wird. Die ukrainische Armee hält weiter die Verteidigung aufrecht und geht an einigen Stellen auch in die Gegenoffensive. Die Besatzer werden versuchen, nach dem 9. Mai im Süden aktiver zu werden, und sie werden die Ukraine weiter beschießen.“
Russlands Stärke nicht unterschätzen
Eine offizielle Kriegserklärung durch Moskau könnte das Kräfteverhältnis stark beeinflussen, warnt Newsweek România:
„Die Geschichte hat gezeigt, dass in verzweifelten Situationen, Russland die Kapazität zur Mobilisierung hat und sogar einen Krieg entscheiden kann. Stalingrad liegt als Beispiel auf der Hand. Wenn Russland eine sehr große Zahl von Soldaten mobilisiert, ist es extrem gefährlich. Das Schicksal des Krieges könnte dann zu seinen Gunsten entschieden werden. Wir sollten die Tatsache nicht ignorieren, dass eine Kriegserklärung gegen die Ukraine Russland die Möglichkeit gibt, seine Bündnisse, insbesondere das mit Belarus, zu aktivieren, was das Gleichgewicht verändern könnte.“
Gewaltspirale unterbrechen
Der historische Tag wäre die richtige Gelegenheit, den Krieg zu beenden, findet Lida Rakušanová in Český rozhlas:
„Im Falle der Ukraine und Russlands wächst mit jedem Kriegsverbrechen die Gefahr, dass aus einem Ein-Mann-Krieg ein Krieg zwischen Nationen wird. Putin sät Hass in Generationen von Russen und Ukrainern. Der 9. Mai böte die Chance, diese Spirale des Hasses zu stoppen. Lassen Sie uns zumindest für eine Weile optimistisch sein und glauben, dass Putin diese Chance nicht verstreichen lassen wird.“