ESC 2022: Eine Entscheidung für den Frieden
Das Kalush Orchestra aus der Ukraine hat mit einem Rekordergebnis beim Zuschauervotum den Eurovision Song Contest gewonnen. Der Hip-Hop-Folk-Song Stefania gehörte auch nach Meinung der Juroren zu den besten Nummern der Show. Dass es beim ESC nicht allein um Musik ging, halten Kommentatoren für berechtigt.
Verdienter moralischer Booster
Selten hatte eine Pop-Veranstaltung eine so große politische Bedeutung, glaubt The Times:
„Der Sieg der Ukraine beim ESC wurde lange vorhergesagt. Und er war höchst verdient. Die Rap-Folk-Band Kalush Orchestra legte nicht nur eine ebenso energische Vorstellung hin, wie sie ihre Landsleute im Kampf an den Tag legen. Mit ihrer abschließenden Bitte in Turin: 'Bitte helft sofort der Ukraine, helft Mariupol, helft Asowstal', bewegte sie zudem Millionen Wähler vor den TV-Bildschirmen im ganzen Kontinent, die Punktzahl der Ukraine vom fünften Platz in der anfänglichen Jury-Bewertung auf den ersten Platz zu heben. Der Jubel hallte bis weit nach Mitternacht durch die Keller und Schutzräume der Ukraine. Das war ein ebenso erfreulicher wie dringend nötiger Moralschub.“
Russland zu Recht der Buhmann
Selbst vom Wettbewerb ausgeschlossen, die Ukraine Publikumsliebling und Sieger - das hat Russland so verdient, meint Nowaja Gaseta Ewropa:
„Der ESC 2022 zeigte das glasklare Bedürfnis nach Frieden, nach einem ruhigen, ganz alltäglichen Leben. Stellen wir uns für einen Moment vor, Russland wäre zugelassen gewesen: Was hätte das heutige Russland dem heutigen Europa bieten können? Ein Lied darüber, dass sich Russen nicht ergeben und ihre Leute nicht im Stich lassen? ... Und sicher mit dem Buchstaben Z auf der ganzen Bühne. ... Man kann noch so oft sagen, dass die Entscheidung zum ukrainischen Sieg erwünscht wurde, dass das alles Politik ist und man uns schlichtweg nicht mag. Ja, so ist das, aber wir haben auch alles dafür getan, das man uns nicht liebt.“
Ästhetisch unerträglich, gesellschaftlich wichtig
La Vanguardia wünscht sich den Geist der Eurovision generell für Europa:
„Ab 1993 begannen die Länder des Ostens, mit ihren untypischen und lebendigen Vorschlägen beim ESC aufzutreten. Die Ukraine ist das beste Beispiel dieser erfolgreichen Landung. ... [Der ESC ist zwar] mehr ein Festival der Geopolitik als ein musikalisches Ereignis, aber seine künstlerische Essenz lässt sich nicht ganz leugnen. ... Selbst für diejenigen, die den Wettbewerb unter ästhetischen Gesichtspunkten unerträglich finden, wäre es wünschenswert, dass nicht nur der derzeitige Eurovision-Wettbewerb fortgesetzt wird, sondern dass weitere Eurovision-Veranstaltungen in anderen Bereichen des europäischen Zusammenlebens durchgeführt werden.“