Russischer UN-Diplomat tritt aus Protest zurück
Ein Mitarbeiter der russischen UN-Vertretung in Genf hat seinen Posten niedergelegt. "Ich habe mich noch nie so sehr für mein Land geschämt", schrieb Boris Bondarew in einem Abschiedsbrief, den er an seine Kollegen im russischen Außenministerium schickte. Anerkennung, aber kein Anlass zur übertriebenen Freude in Kommentarspalten der europäischen Presse.
Rarer Akt der Zivilcourage
Die Tageszeitung Die Presse zollt Bondarew Respekt:
„Endlich traut sich einer, die Dinge beim Namen zu nennen und den Krieg als das zu benennen, was er ist: 'eine blutige, sinn- und absolut nutzlose Schande'. Es ist ein rarer Akt der Zivilcourage in der russischen Elite. Nur vereinzelt hat sich bisher der Unmut im Establishment geregt - in den Medien, der Wirtschaft oder der Diplomatie. Nicht, dass dies in Moskau oder St. Petersburg eine breite Protestwelle auslösen würde. … Für die Außensicht auf Russland hat der Protestakt vermutlich zunächst größere Signalwirkung: Es gibt nicht nur Jasager und Mitläufer in der russischen Gesellschaft - und womöglich haben nicht alle Kriegs- und Regimegegner das Land verlassen.“
Gerade Beamte haben viel zu verlieren
Der aktuelle Fall ist nicht zu unterschätzen, meint der Tages-Anzeiger:
„Boris Bondarew ist kein Künstler, kein Sänger oder Schauspieler, der nun Stellung bezieht zum Überfall auf das Nachbarland. Er stand 20 Jahre in Diensten des Außenministeriums, vertrat also ebenso lange den Kurs Moskaus mit. … Verwunderlich ist es nicht, dass russische Diplomaten den Krieg kritisch sehen. … Niemand weiss, wie die Stimmung im Apparat ist, wie das Zahlenverhältnis zwischen Hardlinern und Gemäßigten. Und was dies bedeuten könnte für den Fortlauf des Krieges in der Ukraine. … Viele Beamte haben viel zu verlieren, auch das ist Teil des über zwei Jahrzehnte gewachsenen Systems Putin.“
Bisher ein Einzelfall
Tygodnik Powszechny sieht die Mehrheit der russischen Diplomaten weiterhin auf Kreml-Linie:
„Nach drei Monaten Krieg ist die Tendenz spürbar, dass sich die Meinungen bei denjenigen, die bisher noch keine Position bezogen haben, verdichten. Einige, wie der Schauspieler Konstantin Lawronenko, bekannt aus den Filmen von Andrei Swjaginzew, erklären ihre Unterstützung für Putins Krieg. Andere, wie Swjaginzew selbst, distanzieren sich von der aggressiven Politik der Machthaber. Die Weltöffentlichkeit registrierte die Antikriegserklärung des russischen Diplomaten Boris Bondarew. ... Dies ist der erste Fall, in dem ein russischer Diplomat gegen den Krieg protestiert hat. Der erste und bisher einzige, von dem wir wissen. Der Rest folgt willfährig der Politik des Kreml.“