Ukraine-Gipfel: Erdoğan will weiter vermitteln
Ein Krisentreffen von UN-Chef Guterres, dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und dem türkischen Staatschef Erdoğan in Lwiw ist am Donnerstag mit dem dringenden Appell, die militärischen Operationen um das AKW Saporischschja einzustellen, beendet worden. Erdoğan warnte vor einer nuklearen Katastrophe und kündigte weitere Bemühungen zur Lösung des Konflikts an. Kommentatoren bleiben skeptisch.
Westen nervös, Türkei profitiert
Dem türkischen Präsidenten Erdoğan ist in der Ukraine-Krise bisher ein schwieriger Balance-Akt gelungen, analysiert The Independent:
„Die Türkei profitiert diplomatisch vom Erfolg der Getreidelieferungen - aber auch davon, westliche Sanktionen gegen Moskau zu ignorieren. Russisches Kapital und russische Bürger werden weiterhin willkommen geheißen, daher bleibt der Kreml wohlwollend. Die türkischen Exporte nach Russland sind auf ein Achtjahreshoch gestiegen und Ankaras Verkehrsminister prahlt offen mit dem Anstieg der Autoverkäufe nach Russland. Die Bemühungen der Türkei, mit Russland zusammenzuarbeiten, machen den Westen weiterhin nervös. Doch Kyjiw schätzt möglicherweise die Rolle Erdoğans als Gesprächspartner.“
Kein Frieden in Sicht
Trotz geschickter Inszenierung kann Erdoğan das Kriegsende nicht herbeiführen, stellen die Salzburger Nachrichten fest:
„Dass Ankara die Rolle des Vermittlers über Symbolisches hinaus erfüllen kann, zeigte es mit dem Getreidedeal. ... Erdoğan deshalb zum Friedensstifter zu stilisieren wäre übertrieben. Sein Ansinnen, in der Ukraine Gespräche über die 'Beendigung des Krieges' zu führen, ist unrealistisch. Denn wichtiger als der Vermittler ist die militärische Realität. Die macht es Moskau derzeit unmöglich, daheim irgendeinen Sieg zu verkaufen.“
Die Hoffnung bleibt
Wenn überhaupt einer vermitteln kann, dann ist es der türkische Staatschef, erklärt Corriere della Sera:
„Es ist immer noch unklar, inwieweit es im Moment wirklich möglich ist, den Kreislauf des Krieges zu durchbrechen und konkrete Verhandlungen zwischen Moskau und Kyjiw über einen Waffenstillstand aufzunehmen. Aber wenn es heute einen Vermittler gibt, der dazu in der Lage ist, dann scheint das Recep Tayyip Erdoğan. Dies war der Hintergrund des trilateralen Treffens. ... Es wurde über Weizen gesprochen, die potenziell dramatische Frage des umkämpften Kernkraftwerks in der Region Saporischschja wurde erörtert, und doch stand im Mittelpunkt der Gespräche die Hoffnung, den Konflikt in relativ kurzer Zeit zu beenden.“
Kommunikationskanäle offen halten
Auch wenn das Treffen wohl kaum zum Frieden führen wird, hat es dennoch einen Sinn, betont die Süddeutsche Zeitung:
„Zum einen, um auch während des Krieges notwendige Kommunikationskanäle offen zu halten. Und der Getreidedeal hat gezeigt, dass es auch inmitten des Horrors punktuelle Kompromisse geben kann. Ein solcher muss dringend gesucht werden, um die Gefahr einer Nuklearkatastrophe in Saporischschja zu verringern. Diese Kommunikationskanäle werden an Bedeutung gewinnen, sobald sich die Voraussetzungen für den Frieden verbessert haben. Zu erreichen ist das aber nicht durch weniger Waffenlieferungen an die Ukraine. Im Gegenteil. Je schwächer Putin die Ukraine wähnt, desto weniger Grund hat er, seine Kriegsmaschinerie zu stoppen.“
Putin und Erdoğan in Win-Win-Situation
Der Besuch in der Ukraine ist ein Zeichen für das Doppelspiel des türkischen Präsidenten Erdoğan, analysiert De Tijd:
„Um wirtschaftliches Unheil abzuwenden, ist Hilfe von außen willkommen, und Russland ist bereit, die zu leisten. Im Gegenzug hält die Türkei die Grenzen weit offen für Menschen und Waren. Oligarchen und ihre Jachten sind willkommen in türkischen Häfen. Erdoğan spielt das doppelte Spiel, weil er nächstes Jahr vor Wahlen steht. Alles, was sein Image als Diplomat verstärken kann, wird er nutzen. Aber auch die wirtschaftlichen Verbindungen mit Russland sind von entscheidender Bedeutung. ... Putin und Erdoğan befinden sich in einer Win-Win-Situation.“