Macron und das Ende des Überflusses
Frankreichs Präsident Macron hat in der ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause vor einem bevorstehenden Ende des Überflusses gewarnt und zu mehr Genügsamkeit aufgerufen. Angesichts von Umweltkatastrophen und kriegerischen Konflikten sei die Zeit der Sorglosigkeit vorbei. Kommentatoren nehmen insbesondere die Begriffswahl aufs Korn.
Verwunderliche Äußerungen
Macrons Haltungswandel ist bedeutungsschwer, unterstreicht La Tribune de Genève:
„Ehrlich gesagt weiß niemand, wie sich die Lage entwickeln wird. Dies hängt von Entscheidungen Putins über Gaslieferungen ab. … Ebenso hängt es von der Anzahl von Atomreaktoren ab, die [der französische Energiekonzern] EDF vor dem Winter wieder in Betrieb nehmen kann. … Und es hängt nicht geringfügig von der Härte des Winters ab. ... Vergangene Woche hat Macron von 'einer großen Umwälzung' gesprochen, die unsere Zeit prägt: dem 'Ende des Überflusses' und 'der Sorglosigkeit'. Verwunderliche Äußerungen aus dem Mund desjenigen, der sich kürzlich noch über das Ökomodell der Amish mokierte. Diese Äußerungen zeigen, wie sehr wir angesichts von Krise und Klimawandel erschüttert werden.“
Endlich in der Realität angekommen
Der Politikwissenschaftler Jorge Riechmann vertritt in El País die Ansicht, dass es um einen Systemwechsel gehen müsste:
„Wie kann man in Gesellschaften, in denen sich die chronische Ungleichheit verschärft und ein Prozent an der Spitze der Pyramide Einkommen und Reichtum hortet, von Überfluss sprechen und diesen Aufruf zu Opfern mit einem sinnlosen Krieg verbinden? ... Und doch müssen wir, die wir die ökosoziale Tragödie sehen, Emmanuel Macron danken. Er hat den diskursiven Konsens der Eliten, der die Realität leugnet, teilweise durchbrochen. ... Die Energieeinsparungen liegen in Wirklichkeit hinter dem zurück, was wir bräuchten, und das weist natürlich auf die Notwendigkeit eines Systemwechsels hin.“
Neuen Lebensstil entwickeln
Der Nutzen eines gemäßigten Konsums muss klarer aufgezeigt werden, rät Pierre Galio von der französischen Agentur für ökologischen Wandel Ademe in The Conversation:
„Das Erreichen eines gewissen Konsumniveaus, das einen bestimmten Lebensstandard garantiert, ist weiterhin ein bei unseren Landsleuten sehr verbreitetes Bestreben. Jahr für Jahr äußern sie seit fast 40 Jahren eine Präferenz für eine Stärkung der Kaufkraft anstelle von mehr Freizeit. Zudem fördern Äußerungen zu Genügsamkeit das Risiko zunehmender Spaltungen innerhalb der Bevölkerung. Daher ist es wichtig, die Auswirkungen und positiven Nebeneffekte von Genügsamkeit sowie den notwendigen Wandel ausführlich zu erklären, um andere Szenarien 'künftigen Lebens' und kollektive Vorstellungen zu entwickeln.“
Ein Fremdwort in Griechenland
Protagon beschreibt, wie Macrons Aussagen in Griechenland ankommen:
„Das Land hat eine mehrjährige Wirtschaftskrise und eine harte Haushaltsanpassung hinter sich. 'Überfluss' ist für die große Mehrheit der Griechen ein Fremdwort - sicherlich für die wirtschaftlich Schwächeren, aber auch für einen großen Teil der Mittelschicht. 'Sicherheit' und 'Sorglosigkeit' sind ebenfalls ungewohnte Wörter. Man würde erwarten, dass der Ausstieg Griechenlands aus der Aufsicht [durch die EU am 20. August] eine Rückkehr zu diesen vergessenen Orientierungspunkten bedeuten würde. Aber die Umstände lassen dies wohl kaum zu.“