Wozu führt Russlands Annexion ukrainischer Gebiete?
Nach den Scheinreferenden in vier von russischen Truppen besetzten ukrainischen Gebieten will Putin noch am heutigen Freitag entsprechende Beitrittsverträge unterzeichnen. Die formelle Aufnahme in den Staatsverband soll einige Tage später erfolgen. Für Europas Presse beginnt mit der völkerrechtswidrigen Annexion eine neue unheilvolle Phase des Kriegs.
Für Putin läuft wenig nach Plan
Putin erhöht damit den Einsatz und setzt sich so auch selbst unter Druck, merkt die Süddeutsche Zeitung an:
„Sollten seine Streitkräfte in diesen Gebieten geschlagen werden, könnte er dies nicht mehr als bloße Umgruppierung verkaufen. Putin hätte dann russische Gebiete verloren. Eine weitere Frage wird sein, ob der Annexionsjubel es vermag, die Wut der Russen wegen der Mobilmachung zu übertönen. ... Der sogenannte Beitritt neuer Gebiete ist Putins größter Trumpf, was die Stimmung im Land angeht. Nun droht er im Mobilmachungschaos zu verpuffen. Vielleicht hat der Kreml auch deswegen so lange gezögert, den Termin am Freitag zu bestätigen. Für Putin scheint derzeit wenig nach Plan zu laufen.“
Eine neue schreckliche Dimension
Freie Bahn für den Einsatz von Atomwaffen, kommentiert La Stampa lakonisch:
„Von heute an wird es nicht mehr der Krieg sein, den wir bisher erlebt haben. ... All dies durch ein Referendum, das aufgrund der Bedingungen, unter denen es abgehalten wurde, und seines willkürlichen und einseitigen Charakters keinen rechtlichen Wert hat. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass es Putins atomare Erpressung auslöst: Wenn ihr von nun an den Donbas oder den Küstenstreifen, den wir kontrollieren, angreift, ist das so, als würden Moskau oder St. Petersburg angegriffen, und wir haben das Recht, uns mit der Atomwaffe zu verteidigen.“
Noch größere Zerstörung
Russland wird jetzt alles an eine totale Zerstörung der Ukraine setzen, fürchtet Adevărul:
„Russland hat die Möglichkeit, Kommando- und Machtzentren in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw und anderen Großstädten mit Raketen anzugreifen. Es kann die Knotenpunkte der Stromübertragung zerstören. Es kann Staudämme angreifen, um große Teile der Ukraine zu überfluten. Es kann das Eisenbahnnetz, Brücken und wichtige Straßen attackieren. Alles, um das alltägliche Leben von zig Millionen Ukrainern zu lähmen. Und es wird diese Zerstörung des Landes fortsetzen, bis die Führung der Ukraine die weiße Flagge hisst und eine Einstellung der Feindseligkeit verlangt.“
Russland wird zum gescheiterten Staat
Russland verliert die Kontrolle, bemerkt die in Berlin arbeitende russische Politologin Ekaterina Schulmann auf Facebook:
„Die Russische Föderation, wie wir sie kannten, tritt damit in eine neue Phase ihrer Existenz ein, wobei sie zu einem Staat mit einer entlegitimierten Grenze wird, der Fragmente beinhaltet, die nicht nur von keinem anderen Land und keiner internationalen Organisation de jure anerkannt sind, sondern de facto auch nicht von der Zentralverwaltung kontrolliert werden (im Unterschied etwa zur Krim). ... Der Ausdruck 'failed state' bedeutet nicht unbedingt, dass der Staat schlecht, brutal oder arm ist. Manche von ihnen leben nicht schlecht. Es geht um administrativen Verfall und die Unmöglichkeit, die eigenen Basisfunktionen in den eigenen Grenzen zu erfüllen.“
Ein Abkommen mit China muss jetzt her
Durch noch größeren internationalen Druck muss Russland an den Verhandlungstisch gezwungen werden, meint El Periódico de España:
„Russlands Bestreben, sich die ostukrainischen Gebiete nach demselben Prinzip wie die Krim einzuverleiben, und seine Provokation Europas durch Energieerpressung erschweren es, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Bemühungen der USA und der EU, die Ukraine mit Kriegsmaterial zu versorgen und die russische Wirtschaft abzuwürgen, funktionieren. ... Sie müssen aber mit diplomatischen Bemühungen einhergehen, um die Isolation Moskaus zu verstärken. Ein Abkommen mit China wäre in dieser Hinsicht von entscheidender Bedeutung und sollte dringend angestrebt werden.“