Kampfpanzer für Kyjiw: Was werden sie bringen?
Nachdem Berlin die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern in die Ukraine erlaubt hat, zeichnet sich eine große westliche Allianz zur Ausrüstung des Landes mit solchen Fahrzeugen ab. In Moskau verstehe man diese und andere Waffenlieferungen als "direkte Beteiligung am Konflikt", erklärte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow. Europas Presse schätzt die Folgen ab.
Das bricht die russische Kampfmoral
Spätestens jetzt muss auch dem Kreml klar sein, dass er nicht gewinnen kann, meint Spotmedia:
„Russland ist keine Großmacht mehr. Diesen Status hat es schon im vorigen März verloren, als die Weltöffentlichkeit sah, wie die gefürchteten Panzer des Kremls wie Fackeln brannten oder von Traktoren ukrainischer Bauern gezogen wurden. Seitdem haben es Russland und Putin nicht mehr geschafft, das Image des Verlierers abzustreifen. Selbst die wenigen Siege wurden unter solchen großen Opfern errungen, dass sich niemand wirklich damit rühmen kann. ... Die Vereinbarung zwischen Deutschland und den USA ist an sich schon ein Sieg. Das Entsenden der Panzer hat die Moral der russischen Militärbefehlshaber gebrochen, die nun feststellen, dass sie nicht mehr gewinnen können.“
Russland hält sich besser als erwartet
Der Westen hat die Zähigkeit Russlands unterschätzt, kritisiert der Ökonom Wladislaw Inosemzew in der Neuen Zürcher Zeitung:
„Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert nun fast schon ein Jahr, und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass er in naher Zukunft ein Ende finden könnte. Mittlerweile wird deutlich, dass den westlichen Politikern und Experten viele schwerwiegende Fehleinschätzungen unterlaufen sind: in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft, in Bezug auf die Standfestigkeit von Putins Regime und sogar in Bezug auf die Kapazitäten der russischen Rüstungsindustrie, die das Militär nach wie vor mit einem Grossteil der benötigten Munition zu versorgen imstande ist.“
Kreml wird keine Atomwaffen einsetzen
Der Kolumnist Gwynne Dyer schreibt in Cyprus Mail:
„Ein 'Sieg' in der Ukraine mag für den russischen Diktator Wladimir Putin, der seinen Ruf und vielleicht sogar sein Leben von einem Erfolg der Invasion abhängig gemacht hat, eine existenzielle Angelegenheit sein - für die ehrgeizigen Männer in seinem Umfeld geht es aber nicht um Leben und Tod. Sie wollen ganz sicher nicht für ihn sterben. ... Die Einschätzung der Nato, dass ein russischer Rückgriff auf Atomwaffen in der Ukraine höchst unwahrscheinlich ist, ist also mit ziemlicher Sicherheit richtig. ... Wie viel von ihrem Land die Ukrainer zurückerobern können, bleibt abzuwarten, aber es steht ihnen zumindest frei, es zu versuchen.“
Geschäftsinteressen leiten deutsche Außenpolitik
Deutschlands üblicherweise zögerliche Haltung bei Waffen für Kyjiw hat immer noch auch wirtschaftliche Gründe, wirft El País ein:
„Deutschland hat eine lange Geschichte der Passivität in internationalen Konflikten. ... Das ist nicht nur eine politische Einstellung. Es ist ein Geschäftsmodell. ... Viele deutsche Unternehmen haben in Russland investiert. ... Sie wollen auf keinen Fall, dass die Ukraine den Krieg dank deutscher Waffen gewinnt. Sie wären nur mit einem schmutzigen Deal zufrieden, der die deutsch-russischen Beziehungen wieder auf den alten Stand bringt und ihnen lukrative Geschäfte zum Wiederaufbau der Ukraine beschert. Sie wollen mit beiden Seiten ins Geschäft kommen.“
Waffenindustrie profitiert
Mit der Aufrüstung der ukrainischen Armee durch den Westen ist eine gefährliche Spirale in Gang gesetzt worden, warnt Delo:
„Die Waffenindustrie reibt sich die Hände. Solange das jetzige westliche Mantra vorherrscht, dass Russland in der Ukraine militärisch besiegt werden muss, wird die Waffenindustrie so viel Bestellungen haben, dass diese nur schwer zu erfüllen sein werden. ... Dieser europäische Krieg, der hauptsächlich auf ukrainischem Gebiet lokalisiert ist, kann sich leicht ausweiten. In Moskau sieht man den Westen nicht mehr nur als passiven Unterstützer, sondern als aktiven Teilnehmer im Kampf.“
Putin handelt nach eigenen Gesetzen
Die Lieferung deutscher Kampfpanzer muss nicht zwingend zu einer Eskalation des Krieges führen, beschwichtigt der Publizist Christian Ortner in der Wiener Zeitung:
„Putin handelt weitgehend losgelöst davon, wie der Westen in dieser Frage agiert. Hält er einen Schritt für richtig, setzt er diesen, völlig unabhängig davon, ob er provoziert wird oder nicht. Schon die Annexion der Ostukraine und der Krim - und schon gar nicht der Versuch einer Invasion in der ganzen Ukraine im Februar 2022 - war ja nicht die Folge irgendeiner militärischen Aktion des Westens. Umgekehrt lieferte etwa Polen im vergangenen Jahr mehr als 200 schwere Kampfpanzer an die Ukraine, ohne dass deswegen der Dritte Weltkrieg ausgebrochen wäre.“
Kein Ausweg aus der Kriegsfalle in Sicht
Für alle Seiten steht jetzt so viel auf dem Spiel, dass es keine Hoffnung auf ein baldige Beendigung des Sterbens gibt, befürchtet Le Quotidien:
„Wenn der Westen die Ukraine aufgibt, welches wird dann das nächste demokratische Land, welches das Unglück einer russischen Invasion und die damit einhergehenden Scheinreferenden zur Annexion der eroberten Gebiete erleidet? Sollte Russland eine Beendigung seiner 'Spezialoperation' beschließen, die bereits Zehntausende Tote gefordert hat, welche Zukunft steht dann Putin und seiner Clique bevor? Für die beteiligten Seiten ist es nun unmöglich, die Kämpfe zu beenden, ohne das Gesicht zu verlieren. Alle scheinen in die Falle getappt zu sein. Wie lange noch?“
Nun ist der Sieg das Ziel
Die Lieferung der Panzer stellt eine Zäsur dar, meint The Guardian:
„Jetzt wird deutlicher als zuvor klar, dass es sich um einen Krieg des Westens gegen Russland handelt, der um die Unabhängigkeit der Ukraine geführt wird. Das bedeutet nicht, dass es ein Krieg ist, den der Westen wollte. ... Auch sind die Kriegsziele des Westens ausschließlich defensiv, sie gehen nicht darüber hinaus, der Ukraine zu helfen, sich von ihren Invasoren zu befreien. ... Aber es besteht kein Zweifel daran, dass sich die westliche Haltung verhärtet hat und die Verbündeten der Ukraine sind sich einig, dass der Krieg an einem entscheidenden Wendepunkt angelangt ist. Die Zusage zu Panzern bestätigt, dass man sich für einen Vorstoß in Richtung eines ukrainischen Sieges entschieden hat.“
Gegen alle Widerstände geeint
Entscheidend ist bei der Sache der Zusammenhalt, den der Westen an den Tag legt, erklärt Corriere della Sera:
„Es ist nicht wahr, dass wir eine Sprosse auf der Leiter zum Weltkrieg erklommen haben. ... Vermutlich hat man der Ukraine erlaubt, noch ein weiteres Jahr durchzuhalten. ... Was absolut zählt - und was Moskau irritiert - ist der symbolische Wert, nämlich dass es den USA und Europa ein weiteres Mal gelungen ist, zusammenzuhalten. Und wenn wir auf das Jahr zurückblicken, das mit der Aggression vom 24. Februar 2022 begann, dann ist es ein Wunder, dass die Nato-Front nicht über die vielen Steine gestolpert ist, die ihr in den Weg gelegt wurden.“
Diplomatischer Trumpf
Die Nato-Panzer haben einen direkten Effekt, betont Club Z:
„Die Leopards, Abrams, Challengers und vielleicht die Leclercs werden erst in einigen Monaten in der Ukraine eintreffen, und selbst wenn sie früher eintreffen, wird es noch Monate dauern, bis ihre ukrainischen Besatzungen ausgebildet sind. Aber bevor die westlichen Panzer irgendetwas auf dem Schlachtfeld verändern können, hat die bloße Nachricht, dass sie kommen, die Chance, an der diplomatischen Front etwas zu verändern. ... Der Kreml muss sich nun Sorgen darüber machen, womit die russischen Truppen konfrontiert werden, wenn sie ihren gescheiterten Versuch, die gesamte Ukraine zu übernehmen, im Frühjahr oder Sommer wiederholen sollten.“
Bereit, sobald die Fahrzeuge ankommen
Dass der Einsatz der Panzer noch Monate dauern wird, weil die Ukrainer die Steuerung erst lernen müssen, will Večernji list nicht gelten lassen:
„Diese konstante Skepsis irritiert, denn die Ukrainer haben bewiesen, dass sie sich sehr schnell - und was noch wichtiger ist - effizient das nötige Wissen aneignen, um moderne westliche Kriegstechnik und neue Technologien beherrschen zu können. ... So war es mit den Javelins und NLAWs, den mächtigen M777-Kanonen, den Himars und restlichen MLRS, Flugabwehrsystemen wie Iris-T, Nasams et cetera. ... Es zeigte sich bisher, dass der Westen seine modernsten Waffen nicht in die Ukraine schickt, ohne dass die Ukrainer nicht schon eine Ausbildung durchlaufen hätten - die Wochen und Monate vorher stattfindet, natürlich nicht in der Ukraine.“
Auf rote Linien achtgeben
Jyllands-Posten mahnt zu bedachtsamem weiteren Vorgehen:
„Die nächste Diskussion wurde erwartungsgemäß bereits eröffnet. Die Ukraine will gerne auch westliche Kampfjets. Der Westen wird ständig gezwungen sein, zu versuchen zu interpretieren, wo die roten Linien von Präsident Putin sind. Die westliche Unterstützung für die Ukraine hat sich im ersten Kriegsjahr dramatisch verändert. Deutschland begann mit der Lieferung von 5.000 Helmen. Jetzt schickt Berlin Panzer. So läuft das die ganze Zeit. Bisher hat Russland nicht mit einer Eskalation des Krieges reagiert, aber der Kreml muss ein paar rote Linien haben. Der Westen muss weiter nach ihnen suchen, ohne sich dem Veto der Angreifer zu beugen.“
Der Kreml hat sich verkalkuliert und verrannt
Der Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew analysiert auf Facebook:
„Die russische Führung, die die Folgen des 24. Februars nicht kalkulierte, machte einen unverzeihlichen - aber korrigierbaren - Fehler: Die ukrainischen Behörden waren in den ersten Kriegsmonaten verhandlungsbereit und der Westen fürchtete in der Tat eine unnötige Konfrontation. Die Lage hat sich nun geändert. Man kann viel darüber streiten, dass die 'Weltuntergangsuhr' fast auf zwölf Uhr gestellt wurde - aber die Angst vor Russland ist weg. Jeder weitere Monat und jede weitere Woche des russischen Abenteuers ist ein noch größerer Fehler als der Tag, an dem es begann: Denn damals gab es durch den Krieg etwas zu gewinnen, jetzt aber nicht mehr.“
Scholz stärkt die westliche Allianz
Für den Standard hat der deutsche Kanzler eine historische Entscheidung getroffen:
„Berlin wird selbst Leoparden liefern, angesichts der Last der deutschen Geschichte nicht trivial. Noch wichtiger: Der Kanzler hat das eng mit den USA, mit Präsident Joe Biden, abgestimmt: Deutschland handelt nur im Gleichschritt mit dem transatlantischen Partner, nach vorheriger EU-Koordinierung. EU und Nato stehen fest zueinander. Russlands Präsident Wladimir Putin sollte dieses Signal erkennen: Er kann die Ukraine nicht erobern. Der Westen lässt sie nicht im Stich. Die Behutsamkeit und Ruhe, die Scholz an den Tag legt, hat jenseits der Emotionen zu Krieg und Leid auch ihr Gutes. Er stärkt die westliche Allianz nachhaltig.“
Typisch deutsch
Die späte Entscheidung passt ins Bild, findet Blogger Kirill Schulika auf Facebook:
„Die Deutschen blieben ihrem Stil treu. ... Die Aufgabe bestand darin, bei den Panzern nicht vom Trend abzukommen und Russland nicht zu sehr zu verärgern. Meinungsumfragen zufolge ist die Öffentlichkeit in Deutschland in dieser Frage noch immer gespalten. Deshalb haben sie Stückzahlen und Lieferfristen durchgerechnet und beschlossen, dass sie noch weit von den 'roten Linien' entfernt sind. Osteuropa hat einen anderen Ansatz: Alles auf einmal, komme was da wolle.“
Die Angst vor der Spaltung
Der Panzerpakt von Washington und Berlin hat vor allem politische Gründe, erklärt La Repubblica:
„Das deutsche Nein barg die Gefahr, dass die Allianz, die den ukrainischen Widerstand militärisch unterstützt, einen Riss bekommt, der die osteuropäischen Länder vom Rest der Koalition trennen würde. ... Das Weiße Haus kann jedoch nicht zulassen, dass die Regierungen, die sich am stärksten von Russland bedroht fühlen, das Vertrauen in den Nato-Schutzschild verlieren oder - was noch schlimmer wäre - autonome Aktionen beschließen, die die Konfrontation mit Moskau weiter verschärfen könnten. ... Mit letzterem Argument scheinen die Amerikaner Bundeskanzler Scholz überzeugt zu haben.“
Zurückhaltung vonnöten
Der Historiker Geoffrey Roberts äußert sich in The Irish Times besorgt:
„Ohne westliche Unterstützung hätte die Ukraine schon vor Monaten ihren Kampf aufgeben müssen. Die Fortsetzung des Krieges hat zu Hunderttausenden russischen und ukrainischen Opfern geführt. Die Wirtschaft der Ukraine wurde zerstört, Millionen Bürger sind aus dem Land geflohen und noch mehr wurden innerhalb des Landes zu Flüchtlingen. Während sich Putin langsam einer Art von militärischem Sieg in der Ukraine nähert, wird die Stimme derer, die auf Zurückhaltung des Westens drängen, mehr denn je benötigt. Je mehr Gebiet die Ukraine verliert, je mehr Opfer es gibt, desto größer wird die Versuchung des Westens sein, noch einen Schritt in Richtung Eskalation zu einem direkten Krieg mit Russland zu gehen.“
Um jeden Preis gewinnen
El Español meint, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt:
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Entsendung von Leoparden und M1-Abrams für den Kriegsverlauf einen Wendepunkt darstellt und den Punkt markiert, an dem es kein Zurück mehr gibt. ... Eine Eskalation ist also fast sicher. Und angesichts dieses Szenarios hat der Westen nur noch eine Option: den Krieg um jeden Preis zu gewinnen. ... Das Argument, dass in die Ukraine geschickte Panzer die Eskalation befeuern, ist allerdings hinfällig. ... Sowohl der britische als auch der US-amerikanische Geheimdienst warnen davor, dass Moskau eine Großoffensive an allen Fronten planen könnte. Das macht die militärische Hilfe für die Ukraine nicht mehr nur verpflichtend, sondern dringend.“