Weltfrauentag 2023: Wenig zu feiern
In diesem Jahr sieht es für die Gleichstellung für Frauen und Mädchen weltweit nicht gut aus: "Die über Jahrzehnte erzielten Fortschritte verschwinden vor unseren Augen", sagte UN-Generalsekretär António Guterres anlässlich des Weltfrauentags. Krisen, Krieg und Extremismus seien die Hauptgründe dafür, dass eine echte Gleichstellung noch 300 Jahre entfernt sei. Europas Presse beleuchtet verschiedene Ebenen des Problems.
Auch Abtreibung ist ein Recht
Die Vereinten Nationen kritisieren zu Recht die internationalen Missstände, sind aber nicht unparteiisch, ärgert sich La Stampa:
„Wir wollten eine Zukunft der Gleichberechtigung und sehen uns nun mit einer Gegenwart verletzter Frauen konfrontiert. Frauen, die in Konflikten missbraucht und vergewaltigt werden, Frauen, die Opfer von Menschenhandel sind, Frauen, denen das Recht auf Pflege, Bildung, Teilhabe am öffentlichen Leben, Wahlrecht, Widerspruch und politische Vertretung vorenthalten wird. Generalsekretär António Guterres erwähnt Afghanistan, die Sahelzone, beschwört den Iran, vergisst aber, die USA zu erwähnen - das Land, aus dem der größte finanzielle Beitrag zu den UN stammt -, wo ein anderes Frauenrecht, das nationale Recht auf Abtreibung, nicht mehr existiert.“
Hauptpersonen sind die ohne Stimme
Die Schriftstellerin Elvira Lindo fordert in El País mehr soziales Bewusstsein vom Feminismus:
„Wenn sich die Sprache einer sozialen Bewegung von denen entfernt, die sie vertreten soll, kommt es zwangsläufig zur Distanzierung. Es gibt nichts Schlimmeres, als die nicht zu verstehen, die einen verteidigen. ... Der Feminismus darf weder von einer einzelnen Gruppe für sich beansprucht werden noch darf er zum Streit führen, wer die Bewegung anführt. Die Hauptpersonen dieses historischen Tages sind die, deren Wille gebrochen wurde, Frauen im Iran, in Pakistan; Frauen, die unter systematischer Gewalt leiden, die vor Bomben fliehen, die aus ihrer Heimat vertrieben werden. ... Frauen ohne Stimme, denen wir unsere leihen müssen, damit sie ausdrücken können, was sie für ein lebenswertes Leben brauchen.“
Der eigenen Privilegien bewusst werden
Will Feminismus erfolgreich sein, muss er sich gegen jede Unterdrückung richten, betont auch die Frankfurter Rundschau:
„Die Welt besteht nicht nur aus Männern, die unterdrücken und Frauen, die unterdrückt werden. ... Über Inklusion und Ungleichheiten nachzudenken bedeutet sich seiner eigenen Position, Privilegien bewusst zu werden. Das Leben einer Schwarzen Frau, die als Putzkraft arbeitet, ist nicht dasselbe wie das einer weißen Frau, die in einer Führungsposition ist. Eine weiße, schlanke und heterosexuelle Akademikerin hat es möglicherweise einfacher als eine Schwarze, lesbische, übergewichtige Frau ohne Schulabschluss. ... Es ist an der Zeit, in sich zu gehen, von dem Elfenbeinturm herunterzukommen und die Pluralität der Gesellschaft zu berücksichtigen.“
Mächtig, aber noch lange nicht gleichberechtigt
Die Ungleichheit sitzt auch in den Köpfen, analysiert Primorske novice:
„Die Erwartungen der kurzsichtigen und stereotypen Gesellschaft sitzen tief im Gewissen einer Frau. Es herrschen gesellschaftliche Normen (Abitur, Diplom, Arbeit, Haus, Ehe, Kinder), die nicht weichen. … Ganz zu schweigen von der Gewalt gegen sie, dem Mobbing, das sie in Hilflosigkeit und Angst lähmt. Frauen verdienen in vergleichbaren Jobs im Durchschnitt immer noch weniger als Männer, zu Hause leisten sie deutlich mehr und in Entscheidungspositionen sind sie weniger vertreten. Trotz des Drucks bleibt die Slowenin von heute allmächtig: Sie sorgt für den Haushalt, ist bei der Arbeit proaktiv und ist Psychologin für ihre Freunde.“
Hass im Netz ergießt sich über Politikerinnen
Frauen in Führungspositionen werden online viel stärker angefeindet als Männer, beklagt The Irish Times:
„Virtuelle Räume sind ein neuer Schauplatz im Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter, weil Frauen dort vergleichsweise öfter Opfer von Missbrauch und Belästigung werden. Die Rücktritte von Jacinda Ardern in Neuseeland und Nicola Sturgeon in Schottland haben eine weltweite Diskussion darüber losgetreten, wie die Politik zu einem immer feindseligeren Betätigungsfeld für Frauen geworden ist. In Irland, wo die Frauenquote in öffentlichen Ämtern noch geringer als in China oder im Irak ist, sind Politikerinnen mit abscheulichen Schikanen, Drohungen und Entmenschlichung konfrontiert.“