Paris verbietet Leihroller: Sinnvolle Notbremsung?
Die Pariser Wähler haben sich am Sonntag mit 89 Prozent der Stimmen klar dafür ausgesprochen, den Verleih von E-Scootern zu stoppen. Nutzer hatten mit den Rollern immer wieder Unfälle und gefährliche Situationen verursacht. An der Abstimmung beteiligten sich jedoch nur 7,45 Prozent der Wahlberechtigten. Europas Presse diskutiert Sinn und Legitimität des Verbots.
Sieg gegen brutalen Kapitalismus
Für Libération zeigt das Resultat,
„dass die Demokratie stärker ist als das Geld, hatten doch die Anbieter versucht, die Abstimmung durch Vorgehensweisen zu beeinflussen, die dem Stimmenkauf nahekommen. Zwar sind die jungen Rollernutzer nicht massiv an die Urnen gestürmt, aber auch nicht nur alte Nörgler. … Seit ihrer Wahl hat Anne Hidalgo eine mutige Politik verfolgt, um den Platz des Autos zu reduzieren, das 80 Prozent des öffentlichen Raums einnimmt, aber nur noch 20 Prozent der Verkehrsmittel ausmacht. Die anarchische Entwicklung der E-Scooter zu bekämpfen, entspricht der gleichen Vision: das Gewicht der Lobbys und die Brutalität des Kapitalismus ablehnen. Und vor allem die Schwächsten verteidigen: in diesem Fall die Fußgänger.“
Demokratisch und ökologisch rückschrittlich
Die Abstimmung war unzeitgemäß, klagt Le Point:
„Laut den Journalisten, die am Sonntag in den Wahlbüros zugegen waren, hat dieses Offline-Referendum vor allem eine ältere Bevölkerung mobilisiert, die diese Angebote sehr wenig nutzt. Das ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker der Gerontokratie, der Herrschaft der Alten. … Das Abstimmungsergebnis steht zudem im Widerspruch zur politischen Linie, die Anne Hidalgo seit ihrem Wahlsieg 2014 eingeschlagen hat. Die Pariser Bürgermeisterin hat den dem Auto gewidmeten Raum reduziert und sanfte Mobilität gefördert. Indem die Sozialistin die Pariser zu einer Frage an die Urnen gerufen hat, die bereits klar entschieden ist, bringt sie sich um eine Alternative zu Verbrenner-Fahrzeugen.“
Relevant nur mit Mindestbeteiligung
Volksabstimmungen sind kein demokratisches Wundermittel, warnt El Periódico de Catalunya:
„Bürgermeisterin Anne Hidalgo möchte solche Referenden auch auf andere Anliegen ausweiten. Das Ergebnis war überwältigend. 89 Prozent der Wähler (103.000) stimmten gegen E-Roller. ... 103.000 Stimmen sind viel, aber auch nur acht Prozent der Wählerschaft. ... Volksabstimmungen sind umstritten. Und wenn es um grundlegende Fragen geht, die die Gesellschaft spalten, auch riskant. Das schottische Referendum - Nein zur Unabhängigkeit - hat das Problem nicht aus der Welt geschafft. Und der Brexit wird heute von der Mehrheit der Bevölkerung bedauert. ... Bei lokalen und umkehrbaren Themen sind sie interessanter. ... Aber damit sie wirksam sind, müsste man eine Mindestbeteiligung festlegen.“
Anbieter in die Pflicht nehmen
Wie man das Problem anderswo besser lösen könnte, überlegt Der Standard:
„Auch in Wien sind die elektrisch betriebenen Roller ein ständiger Konfliktherd. … Zu viele Nutzer halten sich nicht an die Vorschriften, rasen die Gehsteige entlang oder stellen ihr Gerät so ab, dass man nicht mehr vorbeigehen kann. … Die Gesetze nachzuschärfen – etwa mit Parkverbot auf dem Gehsteig – und an die Vernunft der Fahrer zu appellieren ist ein Anfang. Letztlich sind es aber Betreiber wie Lime und Tier selbst, die am längsten Hebel sitzen. Sie haben die technischen Möglichkeiten, das fahrbare Tempo in Hotspots zu drosseln. Und sie sind es auch, die regelkonformes Verhalten belohnen und rücksichtsloses abstrafen können. Das sollte auch in ihrem Interesse sein, um ein Fiasko à la Paris zu verhindern.“
Roller werden zum Sündenbock gemacht
Dass die Pariser Bürgermeisterin per Referendum über das Schicksal der E-Scooter entscheiden ließ, findet The Independent verkehrt:
„Wenn die Pariser E-Scooter nervig finden, dann liegt das am Versagen der Politik, nicht an den E-Scootern selbst. Denn man müsste es schwerer machen, diese Scooter überall zurücklassen zu können, sie in den Fluss zu werfen oder dass betrunkene Touristen auf ihnen zu einer Bedrohung werden. Die Fahrtrichtung ist doch klar: Es ist das Auto, eine wirklich großartige Erfindung, das eine Gefahr für das moderne Stadtleben darstellt. ... Komplizierte und komplexe politische Fragen lassen sich nicht lösen oder dadurch verbessern, dass man dem Volk eine einfache Frage stellt und eine einfache Antwort bekommt. Hat die Bürgermeisterin von Paris denn die britische Politik gar nicht mitverfolgt?“