Streumunition für Kyjiw: Richtig oder fahrlässig?

Nach langem Drängen aus Kyjiw haben die USA zugesagt, der Ukraine im Rahmen einer militärischen Hilfslieferung im Wert von 800 Millionen US-Dollar (rund 730 Millionen Euro) auch Streumunition zu liefern. Streumunition ist wegen der hohen Blindgängerquote umstritten, mehr als 100 Staaten untersagen ihren Einsatz. Aus Washington hieß es nun, die Gefahr für Zivilisten im Falle eines erneuten russischen Vorrückens sei größer. Kommentatoren wägen ab.

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LB.ua (UA) /

Eine gute Nachricht

Der Journalist Kirill Daniltschenko begrüßt in LB.ua die Lieferung von Streubomben:

„Wenn die Mörder des Kremls davon schwadronieren, eine Antwort auf die Lieferung von Streumunition und Raketen zu finden, sollten sie sich öfter an ihre blutigen Taten in Charkiw und der Nordukraine erinnern. Denn dort flogen Smertsch und Uragans [russische Raketenwerfersysteme] mit Streumunition nicht sporadisch. Die Streumunition ist die Antwort und Reaktion der Welt auf ihre Aktionen, nicht umgekehrt. ... Dies wird keine Waffe sein, die den Verlauf des Krieges entscheidend beeinflussen wird, aber es ist ein effektiver Nachschub, der längst überfällig ist und es uns ermöglichen wird, die aktive Phase der Offensive fortzusetzen. Das ist es, worum wir seit Monaten gebeten haben. Es ist eine gute Nachricht.“

Andriy Movchan (UA) /

Schaden für die Zivilbevölkerung

Blogger Andriy Mowtschan wendet sich auf seiner Facebook-Seite dagegen:

„Wenn ich ein Bewohner der besetzten Gebiete wäre, würde ich nicht wollen, dass mein Dorf und dessen Umgebung mit Streumunition befreit werden. Diese Menschen und ihre Kinder werden zwischen den nicht explodierten Sprengsätzen leben, auf den Feldern arbeiten und auf den Wegen gehen müssen. Zwar heißt es, dass der Prozentsatz der nicht explodierten Streubomben bei diesen Granaten viel geringer ist als bei anderen Granaten, aber bezüglich der Sicherheit der Zivilbevölkerung ist das nicht das Beste, was man sich für die Menschen wünschen kann, die dort leben müssen.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Trotz Konvention eine konventionelle Waffe

Radio Kommersant FM sieht den Einsatz von Streumunition nüchtern:

„Es gibt eine UN-Konvention, die ihren Einsatz verbietet. Allerdings haben weder Russland, die Ukraine noch die USA diese Konvention unterzeichnet - noch die anderen Länder, die sie produzieren. Dabei gilt schlicht: Wenn es wirksame Mittel gibt, die bei der Umsetzung anvisierter Ziele helfen, sollte man sie auch einsetzen. In diesem Fall ist Streumunition in der Offensive sehr wirksam, auch gegen Minenfelder und Stellungen in Schützengräben und anderen Verteidigungsanlagen. Und was Konventionen angeht: Wenn die Kanonen sprechen, verliert jedes Papier seine Bedeutung. Die einzige Abschreckung ist die Angst vor Vergeltung oder die Aussicht auf eigenen Schaden.“

Večernji list (HR) /

Gefahr für Jahrzehnte

Streubomben sind eine perfide Waffe, die noch Jahrzehnte nach Kriegsende Tod und Zerstörung säen können, mahnt Večernji list:

„Auch Kroatien hat traurige Erfahrungen aus nicht allzu ferner Geschichte mit solcher Munition, weshalb wir wissen, dass diese auch für die Zivilbevölkerung gefährlich ist, da man davon ausgeht, dass 10 bis 40 Prozent nicht explodiert und so eine zusätzliche Gefahr für Zivilisten darstellt. NGOs, die versuchen, solche Munition gänzlich verbieten zu lassen, sagen, dass es in Vietnam 50 Jahre nach dem Krieg noch immer nicht explodierte Bomben gibt. Werden Zivilisten durch solche Munition getötet, kommt das laut Human Rights Watch einem Kriegsverbrechen gleich.“

Le Monde (FR) /

Fast zweitrangige Debatte

Moralische Erwägungen sind dem russischen Präsidenten absolut egal, betont Le Monde:

„Moskau wird sich anders als die Demokratien bei der Kriegsführung nie eine Grenze setzen. Seine Strategie systematischer Angriffe auf Wohnviertel, wie sie im vergangenen Vierteljahrhundert zahlreiche Kriegsschauplätze erlebten, bezeugt dies. ... Sie stürzt die Ukraine heute Tag für Tag, Nacht für Nacht in Schrecken. Diese zynische Strategie macht die Debatte über den wenig zielgerichteten Charakter von Streubomben fast zweitrangig. Wladimir Putin unterscheidet nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen. Werden Letztere angegriffen, geschieht dies bewusst.“