Wie umgehen mit pro-palästinensischen Kundgebungen?
In mehreren europäischen Ländern gibt es seit den Angriffen der Hamas auf Israel und dem darauffolgenden Krieg pro-palästinensische Demonstrationen. Dabei kommt es neben Solidarisierungen mit den Menschen in Gaza auch immer wieder zu Verherrlichung des Hamas-Terrors, antisemitischen Vorfällen und Gewalt. Kommentatoren diskutieren Grenzen und Bedeutung der Meinungsfreiheit.
Kein ausreichender Schutz für Juden
In Deutschland beschäftigt der Umgang mit pro-palästinensischen Demonstrationen heute den Bundestag. Das Land hat antisemitische Kundgebungen in den vergangenen Tagen unerklärlicherweise zugelassen, kritisiert die Neue Zürcher Zeitung:
„Weite Teile der deutschen Politik haben den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Und der Staat stellt sich nicht in hinreichendem Mass 'schützend vor unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger', wie es Olaf Scholz ankündigte. Das haben die Kundgebungen der vergangenen Tage eindrucksvoll gezeigt. Die Bundesrepublik lässt es aus Naivität, Inkompetenz oder Desinteresse zu, dass Israel öffentlich der Untergang und Juden der Tod gewünscht wird.“
Es braucht auch Ventile für den Frust
Zeit Online-Kolumnistin Lisa Caspari plädiert für Augenmaß:
„Nicht jeder, der sich um das Schicksal der Palästinenser sorgt, nicht jede, die mit dem Palästinensertuch demonstriert, sympathisiert mit der Hamas. Und es ist nicht nur demokratisch, sondern auch in unser aller Interesse, dass Menschen Ventile für ihren Frust, für ihre Trauer und ihre Ängste bekommen. Kundgebungen, auf denen an das Leid der Menschen im Gazastreifen erinnert und gefordert wird, sie bestmöglich zu schützen, müssen auf deutschen Straßen erlaubt bleiben. Natürlich aber nur unter der Bedingung, dass ihre Organisatoren und Teilnehmer zu jeder Zeit den barbarischen Terror der Hamas klar verurteilen, das Existenzrecht Israels und das Recht auf Selbstverteidigung anerkennen.“
Gefundenes Fressen für Rechtsaußen
Ultrarechte benutzen pro-palästinensische Demonstrationen dafür, Gräben in der britischen Gesellschaft zu vertiefen, warnt The Guardian:
„Innenpolitische Spannungen können selbstverständlich in jedem Konflikt auftreten. Aber in diesem Fall besteht das zusätzliche Risiko, dass die Spannungen für besonders zynische Zwecke extra angeheizt werden könnten. Schon jetzt nutzt die britische Ultrarechte Bilder von pro-palästinensischen Kundgebungen in ganz Europa und Hetzreden von studentischen Möchtegern-Politikern, um das vermeintlich große Scheitern des Multikulturalismus und der Idee zu verkünden, dass die Gesellschaft dadurch bereichert wird, dass verschiedene Gruppen ihre eigenen religiösen und kulturellen Traditionen (innerhalb gesetzlicher Grenzen) beibehalten können.“
Das ist kein Kampf für die Freiheit
Dagens Nyheter reagiert mit Unverständnis auf Freudenkundgebungen in Schweden:
„Wer feiert einen Massenmord? Dass Frauen mit Gewalt aus ihren Häusern vertrieben werden, dass Kinder gekidnappt und ermordet werden? ... Es ist bizarr, jubelnde Menschen mit palästinensischen Flaggen zu hören, die fröhliche Parolen über die Freiheit Palästinas singen. ... Das ist selbst für eingefleischte Antisemiten eine absurde Reaktion. Denn was die Hamas gerade tut, ist nicht die Verteidigung irgendeiner Freiheit. Es wird dazu führen, dass die Palästinenser niemals einen Staat oder Frieden bekommen. Das Ziel ist ein ganz anderes: die Zerstörung Israels. ... In einer solchen Welt war eine Zwei-Staaten-Lösung nie eine Option.“
Richtiges schützen statt Falsches beschränken
Svenska Dagbladet rät davon ab, nun die Meinungsfreiheit zu begrenzen:
„Gerade in diesem Sommer war die Vorstellung, dass die Bedrohung durch den islamistischen Terror durch einige Veränderungen bei der schwedischen Meinungsfreiheit verringert werden könnte, in der schwedischen Debatte weit verbreitet. Der rücksichtslose Terror an diesem Wochenende ist eine Erinnerung an die Sinnlosigkeit dieser Hoffnung. Die Bedrohung unserer Gesellschaften liegt nicht in unseren Freiheiten. Im Gegenteil: Durch den Schutz gut funktionierender Institutionen bewahren Demokratien ihre überlegene Fähigkeit zur Entwicklung und Zusammenarbeit. Nur so können aggressive Staaten und Terrorismus in Schach gehalten werden: Indem wir Israel genauso beharrlich unterstützen wie die Ukraine.“
Das Dilemma des Rechtsstaates
Die regierungsnahe Magyar Nemzet ist hin- und hergerissen:
„Man könnte argumentieren, dass alles seine Grenzen haben sollte, auch die Freude an der Tötung oder Entführung unschuldiger Zivilisten. ... Man kann jedoch auch nicht behaupten, dass es der normale Lauf der Dinge ist, wenn die Behörden - wie im französischen Lyon - zur Wahrung der öffentlichen Ordnung eine pro-palästinensische Demonstration verbieten. In einer demokratischen Gesellschaft haben die Bürger das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Jedoch sind die Zeiten, die wir gerade erleben, vielleicht nicht normal.“