"Tag des Sieges" am 9. Mai: Was feiert Russland?
Mit den üblichen Militärparaden hat Russland den 79. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland begangen. Wladimir Putin und seine Propagandaorgane zogen dabei deutliche Parallelen zwischen dem damaligen Kampf gegen Hitler und Russlands heutigem Krieg in der Ukraine. Putin sollte lieber einmal kritisch in den Spiegel schauen, empfehlen Kommentatoren.
Allmacht-Inszenierung wie von Riefenstahl
Kirill Martynow, Chefredakteur von Nowaja Gaseta Ewropa, sieht mit der Militärparade auf dem Roten Platz den Höhepunkt des Militarismus erreicht:
„Visuell und rhetorisch ist dieses Ereignis den Filmen von Leni Riefenstahl ebenbürtig. Kolonnen von Soldaten bewegen sich in stilisierten Uniformen des Zweiten Weltkriegs im Schnee durch das Zentrum von Moskau. Putin hält eine Rede über einen endlosen Krieg, zu dessen Anführer er sich selbst ernannt hat. Auf den Tribünen verfolgen dies die Staatschefs von Tadschikistan bis Kuba, deren gemeinsames Merkmal völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal ihrer eigenen Bürger ist. ... Zu einem noch schrecklicheren Symbol kann man die Parade nicht machen.“
Verdorbenes Gedenken
Die Kreml-Propaganda verdreht den Sinn dieses Feiertags ins Unerträgliche, schreibt der TV-Journalist Kirill Nabutow in einem von Echo übernommenen Telegram-Post:
„Der 9. Mai ist für mich der einzige echte Feiertag. ... Ich begehe ihn jedes Jahr im Gedenken an diejenigen, die in diesem wahrlich Vaterländischen Krieg gekämpft haben. ... Ich bin unter ihnen aufgewachsen, das werde ich nie vergessen. Aber jetzt - zur Hölle, was ist aus uns geworden? Man preist die Eroberung irgendwelcher Dörfer in der Ukraine, überhäuft sie mit Leichen und segnet Russland mit dem Gedenken an die Großväter - jene russischen Soldaten, die Hitler besiegt haben. Als ob die ukrainischen Soldaten jemand anderes besiegt und für eine andere Armee gekämpft hätten! Wie kann man da nicht fluchen?“
Putins Staat ist selbst faschistisch
Bei den jährlichen Feierlichkeiten in Moskau geht es längst nicht mehr um den Sieg gegen Nazi-Deutschland, analysiert The Spectator:
„Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Kriegs in der Ukraine steht bei Russlands Tag des Sieges nicht mehr wirklich der Triumph über den Faschismus im Jahr 1945 im Mittelpunkt. Dass Putin einen faschistischen Staat in Russland kultiviert hat, entbehrt wohl nicht einer gewissen Ironie - doch das kümmert den Präsidenten wenig. Im kommenden Jahr steht der 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs an. Diesen wird Putin wohl als weitere Gelegenheit nutzen, sich als Kreuzfahrer darzustellen, der die Welt vor sich selbst retten will.“