EU-Wahl: Eine Schlappe für Orbán?

In Ungarn ist die Regierungspartei Fidesz von Viktor Orbán bei der Europawahl auf 45 Prozent der Stimmen abgerutscht, während die neue Tisza-Partei seines Konkurrenten Péter Magyar aus dem Stand 30 Prozent holte. Kommentatoren sind unterschiedlicher Ansicht, wie dieses Ergebnis zu bewerten ist.

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Der Standard (AT) /

Politisches Erdbeben

Der Publizist Paul Lendvai sieht in Der Standard eine Abstrafung Orbáns:

„Der politische und moralische Sieger der Europawahl in Ungarn ist der Quereinsteiger Péter Magyar, der mit seiner neuen Tisza-Partei auf Anhieb fast ein Drittel der Stimmen und sieben Mandate (von 21) gewonnen hat. In drei Monaten ist es dem 43 Jahre alten Juristen und Diplomaten gelungen, ohne Apparat und ohne Medien, trotz der Verleumdungskampagne des Orbán-Regimes über eine Million Wähler zu mobilisieren. Zu Recht sprach er von einem 'politischen Erdbeben'. ... Viktor Orbán wurde von den ungarischen Wählern ... 'abgestraft'.“

Magyar Nemzet (HU) /

Dies ist keine Niederlage

Manche Journalisten verdrehen den Fidesz-Wahlsieg zur Niederlage, schimpft die regierungsnahe Magyar Nemzet:

„Wenn man hierzulande eine Regierungspartei ist, seit 14 Jahren mit Zweidrittelmehrheit regiert und seit Herbst 2006 jede Wahl gewonnen hat, kann man eigentlich nicht gewinnen. Bei dieser Wahl zum Beispiel, wenn man mitten in seiner vierten Zweidrittel-Regierungszeit ist, in Kriegszeiten, gerade eine Rekordinflation hinter sich hat und zudem zu Beginn des Jahres durch einen sogenannten Begnadigungsfall beschädigt wurde. ... Und wenn man danach bei einer EU-und Kommunalwahl unter Rekord-Wahlbeteiligung mehr Stimmen erhält als bei der Wahl vor fünf Jahren in unproblematischen Zeiten – nun, dann hat man [laut regierungskritischen Medien] eigentlich verloren.“

Népszava (HU) /

Großes Rechtsbündnis bleibt ein Traum

Die Machtverhältnisse im Europäischen Parlament scheinen Viktor Orbán nicht zu begünstigen, meint Népszava:

„Der große Plan war, dass sich bis zum Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft im Juli ein großes Rechtsbündnis bilden würde, dessen geistiger Führer Viktor Orbán wird. ... Doch diese Idee ist schwer gescheitert. ... Die sieben Abgeordneten der Tisza-Partei werden sich der EVP-Fraktion anschließen. Für den EVP-Vorsitzenden Manfred Weber, der ein ausgeprägt feindliches Verhältnis zum ungarischen Regierungschef hat, ist es auch ein persönlicher Prestigesieg, dass die EVP nach dem 'Austritt' von Fidesz 2021 eine Partei unter seinen Mitgliedern haben wird, die sich gegen Orbán und sein Regime positioniert.“