Warum löst Netanjahu das Kriegskabinett auf?
Premier Benjamin Netanjahu hat Israels Kriegskabinett aufgelöst. Damit reagierte er auf den demonstrativen Rückzug des vergleichsweise moderaten Benny Gantz und auf das Drängen extremerer Minister, in das nach dem Hamas-Anschlag gegründete Kriegskabinett nachzurücken, in dem Entscheidungen im engsten Kreis streng vertraulich getroffen wurden. Europas Presse ordnet die Entscheidung ein.
Ein Deal, um US-Waffen nicht zu verlieren
Die Entscheidung hat mit Netanjahus Forderung an die USA zu tun, wieder uneingeschränkt Waffen zu liefern, analysiert Corriere della Sera:
„Die Antwort der USA war: Okay, aber unter einer Bedingung. Es wird keine zusätzliche Hilfe geben, wenn der Konflikt im Norden so gehandhabt wird wie der Gaza-Konflikt, nämlich unter dem Druck der beiden ultrarechten Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir. … Bibi blieb pragmatisch, hörte zu und entschied innerhalb weniger Stunden. Er löste das nach dem Hamas-Anschlag einberufene Kriegskabinett auf. ... Von nun an wird Netanjahu sein eigenes Ding machen, flankiert von den Ministern für Verteidigung und strategische Angelegenheiten, Yoav Gallant und Ron Dermer.“
Ausdruck von Isolation und Verwundbarkeit
Im In- und Ausland steigt der Druck auf den Regierungschef, analysiert The Irish Times:
„Netanjahu wollte den Forderungen des ultranationalistischen Sicherheitsministers Itamar Ben-Gvir und des Finanzministers Bezalel Smotrich, dem Kriegskabinett beizutreten, nicht nachkommen müssen. Also hat er es einfach abgeschafft. Die Leitung des Krieges ist nun wieder Aufgabe einer kleinen Echokammer von Gefolgsleuten. Die großen Proteste im Inland, der Zerfall der Koalition, die fortgesetzte Ausweitung der israelischen Angriffe im Gazastreifen und auf das Westjordanland sowie die Zusammenstöße an der libanesischen Grenze sind allesamt Ausdruck davon, dass Israel – insbesondere seine extremistische Regierung – verwundbarer werden und immer stärker isoliert sind.“
Ohne Krieg kein Rückhalt
Für Netanjahu persönlich ist eine schnelle Beendigung des Kriegs wahrscheinlich nicht von Vorteil, analysiert Pravda:
„Sobald Israel seine Waffen in Gaza niederlegt, beginnt der Countdown bis zum Ende von Netanjahus politischer Karriere, die von Korruptions- und Betrugsvorwürfen überschattet ist und nun zusätzlich durch das Sicherheitsversagen vom 7. Oktober infrage steht. Trotz der Tatsache, dass wichtige Vertreter der Biden-Regierung und insbesondere Präsident Biden selbst ihre Frustration über Netanjahus entsetzliches Vorgehen in Gaza und das Überschreiten einer Reihe vom Weißen Haus gesetzter roter Linien nicht verbergen, geht die diplomatische und militärische Unterstützung der USA für Israel weiter. Netanjahu soll im Juli sogar vor beiden Kammern des Kongresses sprechen, wo ihm zweifellos stehende Ovationen sicher sind.“