Polen: Darf Tusk auf Reparationen verzichten?
Nach der feierlichen Wiederaufnahme der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in der vergangenen Woche ist in Polen die Debatte zum Thema Reparationsforderungen gegenüber Berlin neu entflammt. Dass Premier Donald Tusk die Forderungen nicht aufs Tapet brachte, wird im Land allgemein als Verzicht interpretiert, was nicht nur bei seinen Gegnern Empörung auslöste. Auch die Landespresse treibt das Thema um.
Erwartungen nicht zu hoch schrauben
Gazeta Wyborcza fordert Realismus:
„Es hieß: Die Deutschen sollen uns irgendetwas geben, am besten soundso viele Billionen Euro. ... Die Vernunft gebietet etwas anderes: Reparationen zu fordern, ist von vornherein müßig, Polen hat 1953 formell darauf verzichtet. ... Stattdessen kann man Entschädigungen für die Opfer des Zweiten Weltkrieges fordern ... Der Plan schien gut zu sein. Nur wurde der Fehler gemacht, die Erwartungen hochzuschrauben. Vor Scholz' Ankunft in Warschau hatten die Medien souffliert, dass der Kanzler konkrete Details zu den Leistungen für die noch lebenden Polen, die Opfer der Nazis waren, ankündigen würde. Doch Scholz sagte nur, er werde 'versuchen', die Angelegenheit zu regeln.“
Warschau hat nie verzichtet und darf es auch nicht
Der Verzicht von 1953 ist ungültig, argumentiert Interia:
„Er wurde von den Machthabern der UdSSR erzwungen, und Polen war zu diesem Zeitpunkt kein souveräner Staat. Außerdem sollte der Verzicht eine Geste der Freundschaft gegenüber der DDR sein und betraf nur dieses Land, nicht die Bundesrepublik. ... Die heutige Auflösung des Themas Reparationen durch die polnische Seite, also der faktische Verzicht auf Reparationen im Tausch gegen vage Zusagen von Militärhilfe oder Unterstützung seitens der deutschen Rüstungsindustrie, ist mit der polnischen Staatsraison nicht vereinbar.“