Carles Puigdemont auf Stippvisite in Barcelona
Der in Spanien per Haftbefehl gesuchte und seit 7 Jahren im Exil lebende Separatistenführer Carles Puigdemont ist am Donnerstag kurz in Barcelona aufgetreten. Anlässlich der Wahl des Sozialisten Salvador Illa zum Ministerpräsidenten von Katalonien – mit Unterstützung der moderaten Separatisten – forderte er die Unabhängigkeitsbefürworter zum Weiterkämpfen auf. Wie Puigdemont seiner Festnahme trotz großen Polizeiaufgebots entging, blieb unklar.
Frustrierter Unabhängigkeitskämpfer
Für El País ist Puigdemont ein frustrierter Politiker:
„Nicht einmal Carles Puigdemont kann das Ende des Unabhängigkeitsprozesses unter den Teppich kehren. Sein Auftritt mitten in Barcelona, um nach wenigen Minuten wieder zu verschwinden, nährte nur das Narrativ eines 'Widerstands'. ... Puigdemont wird immer ein frustrierter Politiker bleiben, denn die Krise um die Unabhängigkeit kann man längst nicht mehr mit Zaubertricks lösen. ... Der Beweis ist, dass [der Sozialist] Salvador Illa Präsident ist. ... Die politische Normalität, die die PSC bringt, ist der größte Meilenstein des Zykluswechsels: Er ist nicht laut, was nicht bedeutet, dass es ihn nicht gibt; im Gegenteil, genau das ist sein Existenzbeweis.“
Harter Schlag für das spanische Prestige
ABC fragt sich, wieso Puigdemont nicht verhaftet wurde:
„Das Beunruhigendste ist, dass alles mit der Komplizenschaft der Regierung Sánchez passiert sein muss. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Polizei, die Guardia Civil und der Geheimdienst (CNI) mit verschränkten Armen zugesehen haben, wie Puigdemont die Grenze überquerte, um dann ungestraft seine Provokation in Barcelona zu starten. ... Sicher ist nur, dass Pedro Sánchez die x-te rote Linie überschritten hat, dass unsere Institutionen heute in den Augen der Welt weniger respektiert und geachtet werden und dass Puigdemont, den Sánchez noch vor der Wahl nach Spanien zurückbringen wollte, 'damit er sich der Justiz stellt', immer noch auf der Flucht ist. Der Preis ist eine tiefe Wunde im Prestige Spaniens.“
Seine letzte Karte
Die aktuelle spanische Regierung ist für Puigdemont Verbündeter, nicht Gegner, schlussfolgert Rzeczpospolita:
„Eine Demütigung von Sánchez ist nicht in Puigdemonts Interesse. Sollte die Regierung stürzen und die Mannschaft der Partido Popular im Bündnis mit der rechtsextremen Vox die Macht im Lande übernehmen, könnte ihm erneut eine Haftstrafe drohen; diesmal allerdings nicht mehr für eine kurze Dauer, sondern für Jahrzehnte - wegen Landesverrats. Mit seinem kurzen Auftritt in Barcelona hat der Junts-Chef wahrscheinlich seine letzte Karte gezogen, um zu zeigen, dass er noch mitspielt. Und nun wird er eine Geste der Versöhnung gegenüber dem spanischen Premier machen müssen.“
Ein Ewiggestriger
Der Separatistenführer sollte anerkennen, dass die Zeiten sich geändert haben, meint der Spanien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Patrick Illinger:
„Die jüngste Wahl hat den Separatismus in Katalonien zu einer Minderheitenangelegenheit gemacht. ... Und nun hat die [gemäßigte Separatistenpartei] ERC mit den sozialistischen Wahlsiegern einen Pakt ausgehandelt, den Spanien der Region Katalonien teuer bezahlen muss. Katalonien wird seine eigenen Steuern einnehmen und verwalten. Möglicherweise mehr Steuern, als es in einem eigenständigen, Nicht-EU-Staat Katalonien einzunehmen gäbe. Mit dieser Aussicht wirkte Puigdemonts Versuch, die Emotionen von 2017 wieder anzufachen, fast ein wenig gestrig.“