Physik-Nobelpreis: Welche Sprengkraft hat die KI?

Als Wegbereiter der Künstlichen Intelligenz erhalten John Hopfield und Geoffrey Hinton den Physik-Nobelpreis. Über die potenziellen Folgen ihrer Forschung haben sich die Pioniere teils selbst kritisch geäußert. Europas Presse denkt nach.

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La Repubblica (IT) /

Sprachliche Atombombe

Papst-Berater Paolo Bennati warnt in La Repubblica:

„Das Resultat könnte eine Bombe sein, die keine Gebäude oder Städte zerstört, sondern, in der linguistischen Version von GPTs und anderen generativen KIs, ein kultureller Zündstoff, der das kulturelle Band zersprengt, das uns zusammenleben lässt, sofern er dazu benutzt wird, Spaltungen und Fake News zu erzeugen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Geoffrey Hinton 2023, nach zehn Jahren im Unternehmen, Google verlassen hat. ... Bei der Ankündigung seines Rücktritts äußerte er Bedenken darüber, dass KI von böse gesinnten Akteuren für schädliche Zwecke genutzt werden könnte, wie die Manipulation von Wählern oder das Gewinnen von Kriegen, und verglich seine Lage mit der von Robert Oppenheimer.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Stockholm tut, was es kann

Dass ein Wissenschaftler den Preis bekommt, der selbst vor den möglichen Konsequenzen der eigenen Arbeiten gewarnt hat, kommt nicht oft vor, hebt der Tagesspiegel hervor:

„Der [1980 ausgezeichnete und] im vergangenen Jahr hochbetagt verstorbene [Paul] Berg sorgte letztlich mit dafür, dass gentechnische Forschungen und Anwendungen heute stark reguliert sind und dass die Öffentlichkeiten der meisten Staaten sie aufgeklärt kritisch begleiten. Für die Künstliche Intelligenz ist dieser Zug wohl längst abgefahren. Denn die Anwendungen sind längst überall, die führenden Unternehmen gehören zu den an der Börse weltweit höchstbewerteten. ... Aber Stockholm tut mit diesem Preis, was es kann, um in der Öffentlichkeit neben den Chancen auch auf die Risiken der Künstlichen Intelligenz hinzuweisen.“

La Stampa (IT) /

Auch den gewaltigen Fortschritt erkennen

La Stampa beschwichtigt:

„Alarmierende Warnungen beim Aufkommen einer neuen Technologie sind nicht neu. Das war schon immer so, wenn etwas potenziell Revolutionäres auf den Markt kommt und Teil des Lebens und der Kultur einer Gesellschaft wird. So geschehen beim Auto, der Elektrizität und dem Internet. ... Eine Debatte, die auf Angst basiert, ist eine einseitige Debatte. Sie birgt die Gefahr, das positive Potenzial der Technologie zu übersehen ... So wurde KI auf der Grundlage von Deep-Learning-Algorithmen – wie sie von Hinton und Hopfield untersucht wurden – erfolgreich bei der Krebsfrüherkennung eingesetzt und wird bereits zur Vorbeugung von Krankheiten wie Brust-, Leber- und Prostatakrebs verwendet.“

NRC (NL) /

Ohne Fantasie wird es eng

Anlässlich der Preisverleihung greift NRC ein warnendes Beispiel aus den Niederlanden auf, wo der Buchverlag VBK seine Autoren darum bittet, bei KI-generierten Übersetzungen ins Englische zu helfen:

„Es gibt ethische und ästhetische Probleme. Mit Übersetzungen durch KI wird der Horizont nicht erweitert, sondern verengt. KI kann vielleicht eingesetzt werden, um menschliche Kreativität zu verstärken, nicht um sie zu ersetzen. Aber bei der Übertragung eines Textes in eine andere Sprache geht es nicht nur um eine Übersetzung, sondern auch um eine Kulturübertragung. KI erkennt keine Stilfiguren, Neologismen werden plattgewalzt zu etwas Erkennbarem. ... Dass Literatur etwas mit Fantasie zu tun hat, darüber ist sich wohl jeder einig, und darüber verfügt KI nicht.“