EU reguliert KI: Was sind die Chancen und Gefahren?
Das weltweit erste umfassende KI-Gesetz wird Tatsache: Das EU-Parlament hat am gestrigen Mittwoch der mit den EU-Staaten ausgehandelten Fassung des AI Act zugestimmt. Praktiken wie Social Scoring oder Gefühlserkennung am Arbeitsplatz werden verboten. Bei der Gesichtserkennung gibt es Ausnahmen für die Strafverfolgungsbehörden. Für einige Kommentatoren ist das eine Verwässerung, andere sehen dennoch einen zukunftsweisenden Erfolg.
Zumindest beim Regulieren Spitze
La Stampa lobt:
„Im technologischen Rennen haben zwar die USA klar und noch vor China die Nase vorn. Aber die Regeln sind wichtig, und Europa hat auf diesem Gebiet gewonnen. Denn mit diesen Regeln müssen sich alle auseinandersetzen, die jetzt künstliche Intelligenz in der Welt entwickeln: Die 27 Länder der Union sind ein zu großer Markt, um ignoriert zu werden, wie wir mit der DSGVO, der europäischen Datenschutzverordnung, gesehen haben, die zum Bezugspunkt für alle geworden ist.“
Zu viele Ausnahmen
Der Prozess, der zu dem Gesetz geführt hat, zeigt, wo innerhalb der EU die eigentliche Macht liegt, schreibt die Frankfurter Rundschau:
„Bei den Regierungen der einzelnen EU-Staaten und nicht im direkt demokratisch legitimierten europäischen Parlament. Im AI Act ist von dessen Position, die Grundrechte gegen neue technische Angriffsmöglichkeiten zu verteidigen, wenig übrig geblieben - etwa bei angestrebten Verboten von Gesichtserkennung in der Öffentlichkeit. Der Text erlaubt zu viele Ausnahmen. Dass etwa das EU-Grenzregime vom Geltungsbereich des AI Act ausgenommen ist, zeigt, wie selektiv der Schutz von Menschenrechten in der EU sein kann.“
Aus Erfahrung gelernt
Regeln fördern den fairen Wettbewerb, hofft Corriere della Sera:
„Die Erfahrung mit dem Internet schmerzt immer noch. Der Verzicht auf eine Regulierung hat dazu geführt, dass der Internet-Markt heute von einigen wenigen Großen beherrscht wird. Von daher ist es gerade diesem neuen Rechtsrahmen zu verdanken, dass sich ein Spielfeld abzeichnet, auf dem ein ehrlicher, fairer und gerechter Wettbewerb möglich ist. Vielleicht wird dadurch das Auftauchen neuer Akteure erleichtert. Hoffentlich anders als in dem digitalen Wilden Westen, den wir erlebt haben.“
KI-Lobby ist stärker als Zivilgesellschaft
Aus Sicht der taz haben strukturelle Probleme der EU-Gesetzgebung zu einem wirtschaftsfreundlichen Ergebnis geführt:
„Es ist auch die Folge einer Verhandlungssituation, in der Wirtschaftsvertreter:innen gegenüber anderen Gruppen, etwa Verbänden aus der Zivilgesellschaft, privilegiert sind. So fanden laut dem Verein Lobbycontrol im vergangenen Jahr 78 Prozent der Treffen von hochrangigen Kommissionsbeamt:innen zum Thema KI mit Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden statt. Auch in stimmstarken Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich sind die Drähte kurz: In Deutschland hat das KI-Start-up Aleph Alpha gute Kontakte bis auf Ministerebene, in Frankreich sieht es bei dem KI-Start-up Mistral ähnlich aus.“
Wichtige Themen ordentlich anschieben
In diesem und anderen Bereichen muss die EU mutig voranschreiten, findet La Libre Belgique:
„Dieser Rechtsrahmen kann Europa helfen, sich wieder als bedeutender Akteur auf der wirtschaftlichen Weltbühne zu etablieren. Europa hat im Grunde keine andere Wahl. Nicht nur für den digitalen Wandel sind hohe Investitionen nötig, sondern auch, um der Herausforderung der alternden Bevölkerung zu begegnen. Anders ausgedrückt, es müssen Finanzierungsquellen für Gesundheits- und Rentenausgaben gefunden werden. ... Und dabei ist noch gar nicht die Rede von den Investitionen, die in den Klimawandel und in die Verteidigung getätigt werden müssen.“