Österreich: Passen FPÖ und ÖVP zusammen?

Mehr als vier Monate nach der Parlamentswahl ringt Österreich weiter um eine neue Regierung. Zunächst waren Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS gescheitert. Nun stocken die Gespräche zwischen der rechtspopulistischen FPÖ, die bei der Wahl die meisten Stimmen erhalten hatte, und der zweitplatzierten konservativen ÖVP. Die Landespresse erkennt schwer überbrückbare Gegensätze.

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Der Standard (AT) /

Kickl will das System nicht biegen, sondern brechen

Die FPÖ will das Land radikal umbauen, bemerkt Der Standard:

„Sie will kein 'Stück des Kuchens', wie sie es vielleicht unter dem früheren Parteichef Heinz-Christian Strache begehrte. Sie will den Kuchen wegschmeißen und etwas ganz anderes backen. Und wenig steht in Österreich so für das 'System' wie die ÖVP, die seit fast vierzig Jahren in Regierungsverantwortung ist. … Die FPÖ hingegen will das System nicht biegen, sie will es brechen. … Die ÖVP dachte wohl, all diese Auswüchse eindämmen zu können. Doch die nun kolportierte blaue Wunschliste an Ministerien zeigt, wie ernst es Kickl meint. Ein Kanzleramt samt EU und Medien, Innenministerium und womöglich Justiz, dazu Finanzen: Damit hätte die FPÖ alle Hebel, um die Dritte Republik zu gestalten. Welche Rolle bliebe der ÖVP dann noch?“

Kleine Zeitung (AT) /

Konservative stehen vor Zerreißprobe

Die ÖVP müsste sich sehr verbiegen für diese Koalition, meint die Kleine Zeitung:

„Nach nicht einmal zweieinhalb Wochen haben alle Untergruppen ihre Endberichte vorgelegt, nun liegt es an Herbert Kickl und Christian Stocker, in kleinerer Runde die großen Brocken aus dem Weg zu räumen. Das ist kein leichtes Unterfangen. FPÖ-Chef Herbert Kickl wird einem Deal nur zustimmen, wenn die blaue Handschrift in den Bereichen ORF, Corona, Banken oder auch Europa erkennbar ist – garniert um blaue Duftmarken wie Tempo 150 auf einigen Autobahnabschnitten. Die ÖVP steht vor einer innerparteilichen Zerreißprobe. Viele können sich eine Koalition mit der FPÖ vorstellen, aber nicht mit Kickl.“

Die Presse (AT) /

Mehr Kompromissbereitschaft nötig

Die Presse fordert:

„Es wird für beide Seiten schmerzhafte Kompromisse geben müssen – und jede Partei muss sich auch verkaufen können. Sonst trägt bereits die Ressortaufteilung den Keim des Scheiterns in sich. Vergessen sollte die FPÖ ja auch nicht, dass sich ihre Ausgangslage wieder schnell ändern kann. Vor nicht allzu langer Zeit siegte die ÖVP unter Sebastian Kurz bei der EU- und Nationalratswahl, überall ging es bei der ÖVP nach oben. Umfragen prophezeiten ihr zu Beginn der Pandemie gar die absolute Mehrheit. Nicht einmal eineinhalb Jahre später schied Kurz aus dem Amt, die ÖVP sackte ab. Als Juniorpartner der FPÖ muss sie nun erbittert darum kämpfen, wenigstens ein prestigeträchtiges Ressort zu erhalten.“