Österreich: Was bleibt von der Ära Sebastian Kurz?

Harte Landung für den einstigen Überflieger der europäischen Konservativen: Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz tritt als ÖVP-Vorsitzender zurück und verlässt die Politik. Im Oktober hatte er bereits das Kanzleramt abgeben müssen. Wegen Korruptionsermittlungen war der Druck auf den 35-Jährigen auch in der eigenen Partei zuletzt gestiegen. Europas Presse bilanziert eine Ära, die schon in jungen Jahren endet.

Alle Zitate öffnen/schließen
Frankfurter Rundschau (DE) /

Augen auf beim nächsten Wunderwuzzi

Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz sollten den konservativen Parteien in Europa eine Lehre sein, meint die Frankfurter Rundschau:

„Sie haben Kurz viel zu lange hofiert und in ihm einen neuen konservativen Politikertypus gesehen. Der vermeintliche Superstar aus Wien hatte auch viele Anhänger in CDU und CSU. Dabei haben sie nicht bemerken wollen, dass es Kurz an moralischer Festigkeit fehlt. Für die Zukunft braucht es bessere Vorwarnsysteme. Der nächste 'Wunderwuzzi' steht irgendwo schon in den Startlöchern.“

Falter (AT) /

Ein Populist am Ende

Von Kurz' Versprechen der Erneuerung ist nichts geblieben, stellt der Falter fest:

„Kurz' Aufstieg und Fall sollte allen Parteien eine Warnung dafür sein, was passiert, wenn konservative Parteien sich einem rechtspopulistischen Anführer unterordnen. Mit Kurz' Ende wird auch klarer sichtbar, wie korrumpiert Österreichs politisches System ist. ... Am deutlichsten wird das in Österreichs polit-medialen System, mit ... der ungesunden Nähe zwischen Politikern und Medienmachern und ihren Journalisten, geschmiert mit ungewöhnlich hohen Volumina an öffentlichem Inseratengeld. ... Zu all dem kommt auch noch Österreichs katastrophales Pandemie-Management, für das ­Sebastian Kurz die Verantwortung trägt. Er hatte die Bekämpfung der Pandemie von Anfang an zur Chefsache erklärt. ... Jetzt bekommt das Land die Rechnung präsentiert.“

Lidové noviny (CZ) /

Er hat Europas Migrationspolitik verändert

Lidové noviny erinnert vor allem an dessen Haltung in der Flüchtlingsfrage:

„Kurz machte den Kampf gegen die illegale Migration zum Hauptthema in den Wahlkämpfen seiner Partei und der FPÖ damit viele Wähler abspenstig. Noch als Chef der österreichischen Diplomatie machte er die Grenze dicht, um die sogenannte Balkanroute zu schließen. Diesen Kurs setzte er auch in der EU durch, wo er zu einem der lautesten Kritiker von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde. Und schließlich führte er in den Verhandlungen über das Budget der EU für die kommenden sieben Jahre die Gruppe der Länder an, die höhere nationale Zahlungen für den Haushalt der Union verhinderte.“

+Portal (SI) /

Gängige Praxis in Slowenien

Derselbe Fall hätte im Nachbarland wohl für weniger Aufsehen gesorgt, bedauert Portal Plus:

„Für Politiker, insbesondere für diejenigen an der Macht, ist die öffentliche Meinung der heilige Gral, ein Aphrodisiakum, fast so stark wie Macht und Autorität. Eine Alchemie der besonderen Art, für die sie (fast) alles tun. … Es gibt keinen Politiker, den es nicht reizt, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Und Kurz war sicherlich keine Ausnahme. Nur hat das in Österreich zu einem handfesten Skandal geführt, der die Justiz noch eine Weile beschäftigen wird, während es in Slowenien seit dreißig Jahren gängige Praxis ist, dass Geld von staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen ganz locker auch in die Wahlkampffinanzierung kanalisiert wird.“