Corona: Fünf Jahre danach

Im Frühjahr 2020 wurde Europa zum Hotspot der ursprünglich in China ausgebrochenen Corona-Pandemie. Die meisten Länder reagierten darauf mit Beschränkungen, die für die Menschen massive Einschnitte in das Alltagsleben bedeuteten. Kommentatoren in der europäischen Presse erinnern daran, wie Covid und die ergriffenen Gegenmaßnahmen das Leben und die Gesellschaft verändert haben – bis heute.

Alle Zitate öffnen/schließen
Corriere della Sera (IT) /

Nichts gelernt aus der Katastrophe

Corriere della Sera vermisst die gesellschaftliche Aufarbeitung der Pandemie:

„Fünf Jahre sind vergangen, seit die Pandemiewelle die Welt und unser Land überrollte, unser Leben durcheinanderbrachte und eine dramatische Spur der Trauer und des sozialen Schadens hinterließ. Aber ein beunruhigender Mechanismus der kollektiven Verdrängung hat dafür gesorgt, dass über Covid nicht mehr gesprochen wird; niemand will sich heute an diese langen Monate erinnern, die die Welt verändert haben. Haben wir davon gelernt? Offensichtlich nicht, und unser nationaler Gesundheitsdienst ist sicherlich nicht gestärkt daraus hervorgegangen, wie wir alle gehofft hatten.“

Financial Times (GB) /

Verkümmerung des sozialen Miteinanders

Die spontane Geselligkeit ist unserem Leben entwichen, bedauert die Financial Times:

„Wir verbringen jetzt viel mehr Zeit zu Hause als früher, sowohl arbeitend als auch in unserer Freizeit. Dafür nehmen wir uns seit der Pandemie weniger Zeit für soziale Kontakte: Laut einer Umfrage ist die Zeit, die wir mit anderen verbringen, an einem durchschnittlichen Tag auf weniger als 35 Minuten gesunken. ... Die Pandemie hat dazu beigetragen, die letzten Bastionen informeller Interaktion zu zerstören: Spontane Begegnungen, kurze Besuche und Treffen auf eine Tasse Tee, wie sie frühere Generationen pflegten, werden nun weitgehend durch Kurznachrichten ersetzt. ... Geselligkeit ist ein Muskel, der trainiert werden muss.“

La Croix (FR) /

Frankreich hat Zusammenhalt bewiesen

La Croix resümiert:

„Obwohl jeder die Herausforderungen mit unterschiedlicher Intensität durchlebt hat, hat das Land eine Zeit der gemeinsamen Resilienz erfahren. Eine Gegenstimme war jedoch immer wieder zu hören und hält bis heute an: die Ablehnung des Impfstoffs. ... Im Kontext des Misstrauens gegenüber dem Staat und den Institutionen entstehen alternative Erzählungen. Einige knüpfen an Verschwörungstheorien an, welche die Demokratie und den Rechtsstaat untergraben. ... Trotz dieser Differenzen hat der Zusammenhalt, den die Bevölkerung während der dramatischen Ereignisse von 2020–2021 gezeigt hat, eine wertvolle Botschaft für künftige Krisenzeiten hinterlassen: Angesichts sehr großer Gefahren ist die nationale Gemeinschaft in der Lage zusammenzuhalten.“

Õhtuleht (EE) /

Kontaktverbot war das Schlimmste

Õhtuleht-Journalistin Manona Paris erinnert an den Ausnahmezustand der sozialen Isolation:

„Es war erstaunlich, wie schnell sich unser Leben veränderte. Die meisten von uns gaben freiwillig einen Großteil ihrer Freiheit auf, weil wir die Alternativen verstanden. ... Am Anfang habe ich es genossen – die Familie zusammen, lange Spaziergänge, viel gutes Essen. ... Ich fing an, Brot zu backen. Kuchen. Kimchi. Die Neugierde auf Rezepte war riesig. Der erste Schock war Ende März, als mein kleiner Sohn merkte, dass es zu seinem vierten Geburtstag keine Party geben würde. Dass er seine Freunde nun sehr lange nicht mehr sehen konnte. Ich konnte sehen, wie die Gedanken in seinem kleinen Kopf rasten, und einen Moment lang füllten sich seine Augen mit Tränen, aber dann sagte er: 'Mami, ich verstehe das. Das Virus ist schrecklich. Wir brauchen es nicht.' Nun wurden meine Augen wässrig.“

Ta Nea (GR) /

Lockdown-Politik überdenken

Für Ta Nea haben die harten sozialen Beschränkungen einen zu hohen Preis gefordert:

„Unzählige Studien zeigen, dass Tausende von Menschen während der Pandemie unter sozialer Isolation und Einsamkeit litten und dass dieses Problem während der nationalen Sperren besonders akut war. Negative Auswirkungen gab es auch für Alleinerziehende, die es schwierig fanden, ein Einkommen zu erzielen, während sie sich um ihre Kinder kümmerten. ... Fünf Jahre danach ist die Härte der Lockdowns deutlicher geworden. ... Selbst Forscher, die Beweise dafür fanden, dass die Aussperrungen Leben retteten, haben davor gewarnt, in Zukunft vorschnell zu dieser Maßnahme zu greifen. Die Auswirkungen auf Kinder, Bildung und Wirtschaft sind bis heute spürbar und werden wohl erst in vielen Jahren vollständig geklärt sein.“

Seznam Zprávy (CZ) /

Traurige Diagnose für die Zukunft

Kommentator Josef Veselka fragt in Seznam Zprávy, ob wir aus der Covid-Zeit gelernt und uns auch auf die nächste Pandemie vorbereitet haben:

„Ich fürchte: nein. Das Coronavirus hat Zehntausende Menschen das Leben gekostet, wir sind verarmt, wir haben uns teilweise von der Arbeit entwöhnt und wir haben einen großen Teil unseres Vertrauens in den Staat, in die Politik und in die Wissenschaft verloren. Aber wir sind nicht bereit für die nächste Pandemie. Und eine solche Situation wird mit ziemlicher Sicherheit irgendwann in der Zukunft erneut auftreten.“

Les Echos (FR) /

Besser gewappnet als vor fünf Jahren

Wir haben in vielen Bereichen dazugelernt, beobachtet dagegen Les Echos:

„Homeoffice war die Ausnahme und ist nun in mehr oder weniger großem Umfang zur Regel geworden, mit Ausnahme von Arbeitern und Händlern. Telefonkonferenzen sowie Teams- oder Zoom-Meetings haben sich verbreitet. Der bereits sehr starke Online-Handel hat noch mehr Franzosen für sich gewonnen. Ein schneller Internetzugang ist zu einer Notwendigkeit geworden. Und das kontaktlose Bezahlen, das von Banken und Kunden früher als relativ riskant angesehen wurde, ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Lehre daraus lautet, dass wir im Falle einer neuen Pandemie und eines weiteren Lockdowns vielleicht nicht vollständig darauf vorbereitet wären, aber wir wären viel besser gewappnet als noch vor fünf Jahren.“

Der Spiegel (DE) /

Die Wut der Andersdenkenden

Für den Spiegel wirkt die Zeit der Pandemie bis heute nach:

„Die politische Kultur ist wegen der oft verletzend geführten Schwarz-Weiß-Debatten dauerhaft beschädigt worden, Skeptiker wurden verunglimpft. Besonders diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollten, wurden zur Zielscheibe öffentlicher Kritik. ... Teil des Erfolgs der Rechtspopulisten von der AfD ist sicherlich auf die Coronapolitik zurückzuführen, vor allem in Ostdeutschland: Die Wut darüber, wie Andersdenkende an den Pranger gestellt, wie individuelle Freiheitsrechte übergangen wurden, hat viele Menschen enttäuscht, radikalisiert, entfesselt. Wer sich fragt, woher Hass auf 'Elite' oder 'die da oben' kommt, sollte die Diskussionen in der Coronazeit nachlesen.“

Le Monde (FR) /

Träume von einer neuen Welt verblasst

Bei Le Monde dominiert Ernüchterung:

„Wir träumten von einer 'Welt danach': einer Welt, die die Lehren aus dieser Pandemie ziehen würde, indem sie 'nicht notwendige' Reisen reduzieren, die Möglichkeit bieten würde, anders zu arbeiten, oder den Kampf gegen den Klimawandel beschleunigen würde. ... Fünf Jahre später die Enttäuschung: Wir müssen feststellen, dass dieser kurze Impuls des Widerstands gegen die 'Welt von vorher' erloschen ist. Wo ist diese gemeinsame Sehnsucht nach einer Umgestaltung unserer Gesellschaften geblieben? ... Angesichts der Nachrichten, die voll von Konflikten sind, scheint all das in Vergessenheit geraten zu sein.“