Athen und Brüssel verhandeln über Schulden
Die EU und die neue Regierung Griechenlands haben Gespräche über die Schuldenfrage begonnen. Nach einem Treffen mit dem griechischen Premier Alexis Tsipras am Donnerstag in Athen sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, er sehe Verhandlungsbereitschaft. Die EU sitzt am längeren Hebel, meinen einige Kommentatoren. Andere fordern die Union zu Kompromissen auf, um Euroskeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Tsipras' teures Vabanquespiel
Mit dem Stoppen von Privatisierungen und weiteren wirtschaftspolitischen Ankündigungen hat Alexis Tsipras schon nach wenigen Tagen im Amt zu hoch gepokert, schimpft die linksliberale Tageszeitung Der Standard: "Tsipras tut so, als würde Europa Griechenland brauchen und deshalb alles tun, um einen Euroaustritt zu verhindern. Aber die Reaktion der Finanzmärkte zeigt das Gegenteil: Griechische Papiere fallen in den Keller, an den anderen Börsen herrscht hingegen Ruhe. Die EU-Partner können es sich leisten, Tsipras anrennen zu lassen. Schließlich sind es die Griechen, die unbedingt im Euro bleiben wollen. So verständlich die Vorhaben der Athener Regierung aus sozialer Sicht auch sind: Sie will Geld verteilen, das sie nicht hat und das ihr weder private Investoren noch andere Staaten borgen werden. Tsipras wird bald vor der Wahl stehen, klein beizugeben oder den Grexit zu riskieren. Wie immer er sich entscheidet: Eine konstruktive Debatte über die Sparpolitik in der Eurozone fördert er mit seinem Vabanquespiel nicht."
Kompromiss könnte Euroskeptiker bremsen
Durch den Dialog mit der neuen griechischen Regierung kann die EU auch ein Signal an andere euroskeptische Stimmen senden, meint die linksliberale Wochenzeitung Le Jeudi: "Die Verhandlungen werden schwierig, aber man darf in dieser Völker- und Interessengemeinschaft, die die EU darstellt, nicht vergessen, dass es unmöglich ist, der griechischen Stimme kein Gehör zu schenken. ... Den Griechen zuzuhören und besser noch: sie zu verstehen, heißt auch eine Antwort auf die nationalistischen, separatistischen und euroskeptischen Bedrohungen zu liefern, die sich vielerorts Bahn brechen - zumal in diesem Jahr in Großbritannien, Dänemark, Estland, Finnland, Schweden, Polen, Spanien und Portugal Wahlen anstehen."
Athens ökonomischer Realitätsverlust
Am heutigen Freitag reist Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem nach Athen, um mit der neuen Regierung ihre Pläne zur Überwindung der Schuldenkrise zu beraten. Journalist Nikos Meletis hofft in der linksliberalen Tageszeitung Ethnos, dass Finanzminister Giannis Varoufakis einen Alternativplan zum bislang von Syriza geforderten Schuldenschnitt präsentiert: "Dijsselbloem kommt nicht, um eine Vorlesung in ökonomischer Theorie zu hören. Wenn er so etwas wollte, würde er nach Harvard und nicht ins griechische Parlament reisen. … Varoufakis hat wahrscheinlich noch nicht realisiert, dass er nicht in seinem Büro in der Universität in Texas sitzt. … Er hat noch nicht verstanden, dass seine Ansprechpartner [Deutschlands Finanzminister] Schäuble, Dijsselbloem und [EZB-Chef] Draghi sind, denen seine schönen akademischen Worte nicht ausreichen. Denn es geht um Geld, sogar um eine Menge Geld. Ich wünschte, Varoufakis hätte als Überraschung einen versteckten Plan. … Denn schlimm ist insbesondere, dass Varoufakis die Realität zurückweist."
Schuldenerlass als Belohnung für Reformen
Bei den Schulden-Verhandlungen zwischen Athen und seinen Kreditgebern ist aus Sicht der wirtschaftsliberalen Wochenzeitung The Economist ein für beide Seiten tragbarer Kompromiss möglich, der später Vorbild für andere Krisenstaaten sein könnte: "Der Lösungsvorschlag sieht folgendermaßen aus: Tsipras sollte seine verrückten sozialistischen Ideen vergessen und an strukturellen Reformen festhalten, um im Gegenzug einen Schuldenerlass zu erhalten. ... Die Fälligkeit der Schulden könnte entweder noch weiter nach hinten verschoben werden oder, und das wäre besser, ihr Nominalwert könnte verringert werden. Tsipras könnte seinen linken Drang ausleben, indem er in Griechenland die geschützten Oligopole aufbricht und die Korruption bekämpft. Die Kombination aus makroökonomischer Entlastung und mikroökonomischen strukturellen Reformen könnte sich letztlich als Vorbild für andere Staaten wie Italien und sogar Frankreich erweisen."