Juncker kritisiert die Festung Europa
Jean-Claude Juncker hat die Reaktion der EU-Staats- und Regierungschefs auf die Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer scharf kritisiert. Vor dem EU-Parlament in Straßburg forderte er am Mittwoch einen legalen Zugang für Flüchtlinge nach Europa und eine Länderquote. Die Presse lobt den Vorstoß des Kommissionschefs und drängt die Öffentlichkeit, in der Migrationskrise Druck auf die Politik auszuüben.
Endlich klare Worte in der Migrationskrise
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kritisiert die unzureichende Reaktion der Regierungschefs der EU auf die Flüchtlingskrise. Die linksliberale Tageszeitung Der Standard lobt die klaren Worte Junckers: "Die Verdreifachung der Mittel für das Seeüberwachungsprogramm Triton entspricht faktisch nur der Rückkehr zur nationalen Aktion Italiens, Mare Nostrum. Sie rettete tausende Menschenleben, wurde auf Druck Deutschlands aber beendet. Juncker hat auch mit seiner Forderung nach einem Quotensystem für Asylsuchende recht. Die Union muss so handeln, will sie ihre eigene Basis als humane Gesellschaft nicht selbst zerstören. Die Regierungschefs wollen 5000 Flüchtlinge in einem Pilotprojekt EU-weit 'gerecht' aufteilen. Das kann's nicht sein. Die EU hat 507 Millionen Einwohner. Das wäre ein Flüchtling pro 100.000 Einwohner. Österreich müsste 80 'EU-Flüchtlinge' versorgen, auf Wien mit 1,8 Millionen Einwohnern kämen 18 - die Dimension eines Kleinbusses. Ticken wir richtig?"
Juncker zeigt Gestaltungswillen
Mit seinem Vorstoß bietet Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionschef endlich den Staats- und Regierungschefs die Stirn, lobt der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk: "Er hat die Staats- und Regierungschefs in die Pflicht genommen; er hat die mageren Ergebnisse des Sondergipfels sowie die Betroffenheitsrhetorik öffentlich kritisiert. Und er hat einen neuen Vorstoß für eine Quotenregelung angekündigt. Natürlich sind es am Ende die Mitgliedstaaten, die die Konsequenzen der Migrationspolitik zu tragen haben - gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Doch es sind genau diese Mitgliedstaaten, die bislang alle Reformüberlegungen blockiert haben. Nun wächst der Druck. Nicht nur wegen der menschlichen Tragödie vor Europas Küsten, sondern auch, weil EU-Kommission und Parlament offenkundig den notwendigen Gestaltungswillen zeigen, den wiederum die Staats- und Regierungschefs derzeit schmerzlich vermissen lassen."
Engagement ist in Europa ein Fremdwort
Eine gesellschaftliche Mobilisierung angesichts der Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer vermisst die liberale Tageszeitung La Stampa: "Wo sind heute Jean-Paul Sartre und Raymond Aron? ... Auf einem vergilbten Foto von 1979 sehen wir den radikalsten und unberechenbarsten der linken Intellektuellen Hand in Hand mit dem liberalsten der republikanischen französischen Rechten vor dem Elysée-Palast. Der universale und humanistische Glaube an das 'Engagement', an eine Verpflichtung, vereinte Aron und Sartre damals angesichts der Tragödie der boat people von Vietnam und Kambodscha. Das Zusammenwirken des unvorstellbarsten aller Paare - Sartre und Aron - mobilisierte einen zunächst zaudernden [französischen Präsidenten] Giscard d´Estaing und dann ganz Frankreich. …. Wo sind die Sartres und Arons von heute? Kein Politiker ist heute mehr in der Lage, für eine Politik einzutreten, die auch nur die geringste Öffnung Ausländern gegenüber vorsieht, selbst wenn sie noch so edle humanistische Gründe hätte."