Moskau vernichtet westliche Lebensmittel
In Russland werden seit Donnerstag tonnenweise Lebensmittel vernichtet, die trotz Importverbot aus dem Westen eingeführt und vom Zoll beschlagnahmt wurden. Während einige Kommentatoren dies als Sakrileg betrachten, stellen andere die Wirksamkeit der EU-Sanktionen in Frage, die dem Nahrungsmittel-Embargo Moskaus vorausgingen.
Russland begeht Sakrileg
Russland, das in seiner Geschichte selbst viele Hungersnöte erlebt hat, begeht in den Augen der liberalen Tageszeitung Postimees eine Sünde: "Sogar in der Sowjetunion wurde Kindern von klein auf beigebracht, das Stück Brot zu ehren. Bilder von Bulldozern, die Haufen von Lebensmitteln in den Schlamm stampfen, wirken vor diesem Hintergrund als Sakrileg. Auch das russische Volk scheint die Aktion nicht zu verstehen, sondern wundert sich, warum die konfiszierten Lebensmittel nicht in Krankenhäusern oder Kinderheimen verteilt werden können. Laut einer Umfrage unter Internetnutzern, die mehr als 12.000 Menschen beantwortet haben, waren 87 Prozent der Antwortenden gegen die Vernichtung der Lebensmittel. Einige fanden, die Lebensmittel sollten als humanitäre Hilfe nach Donezk und Luhansk geschickt werden."
Putin beleidigt die zivilisierte Welt
Die Verbrennung westlicher Lebensmittel zeigt die ganze Primitivität Russlands, schimpft die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita: "Der Kreml könnte diese beschlagnahmten Lebensmittel doch der Uno, dem Südsudan oder den Flüchtlingen in Syrien spenden. Oder er könnte damit den Migranten aus Afrika und Asien helfen, die derzeit irgendwo an den Grenzen von Europa festgehalten werden. Doch von all diesen Möglichkeiten nutzt er keine, sondern entscheidet sich für eine ganz schlechte, die extrem primitiv und sehr unmenschlich ist. Die angezündeten und verbrannten Lebensmittel sind eine Beleidigung für die zivilisierte Welt. Dies ist der Beweis für die ganze Gefühllosigkeit und Primitivität des Kreml. ... Auf den russischen Internet-Foren gibt es zwar viel idiotischen Zuspruch für die Vernichtung der westlichen Lebensmittel. Doch sind Entrüstung und Misstrauen gegenüber dieser gedankenlosen Vorschrift ebenso groß. ... Das ist das einzig Positive an dieser Geschichte."
Alternativen zu EU-Sanktionen nötig
Die seit einem Jahr andauernden Sanktionen der EU gegen Moskau haben Russland weder auf politischer noch auf wirtschaftlicher Ebene wirklich geschadet, führt die Politologin Elena Morenkova Perrier in der konservativen Zeitung Le Figaro aus: "Auch wenn die wirtschaftliche Situation Russlands schwierig erscheint, sind die Staatsverschuldung und das Haushaltsdefizit kurzfristig erträglich. Das Land funktioniert weiterhin, obwohl seine Einnahmen durch den Verfall des Ölpreises drastisch gesunken sind. ... Was die internationale Politik angeht, wird Russland längst nicht zum Paria-Staat. Die internationalen Gipfel der Brics-Gruppe und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die Russland im Juli 2015 organisiert hat, belegen das. ... Es ist wichtig, sich der wechselseitigen Abhängigkeit von Russland und Europa bewusst zu werden. Unser Verhältnis sollte nicht von Ideologen beherrscht sein. Man sollte schon jetzt darüber nachdenken, mit welchen Mitteln und Wegen die wirtschaftlichen Beziehungen nach dem Ende der Sanktionen wieder aufgenommen werden können."
Moskauer Herings-Embargo bedroht Island
Der Kreml droht, das Lebensmittelembargo auch auf andere Länder auszuweiten, die sich kürzlich den Strafmaßnahmen der EU angeschlossen haben, unter ihnen Island. Putins Drohung ist für Reykjavík alles andere als eine Lappalie, kommentiert die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera: "Putin und die Heringe, Makrelen und Dorsche beschwören eine moral-politische Krise in Island herauf: Die moderaten Abgeordneten sind der Meinung, dass die Insel nicht klein beigeben dürfe [und die EU-Sanktionen mittragen muss], während die Ultranationalisten und die Piratenpartei die Forderungen der Fischunternehmer unterstützen [die EU-Sanktionen nicht mitzutragen]. ... Sie meinen, dass das russische Embargo Island in den Ruin treiben würde. ... Zwei Zahlen zur Erläuterung: 2013 hat Island 89.450 Tonnen Fisch und Mollusken nach Russland exportiert. 34,9 Millionen Euro brachten allein die Heringe. Rechnet man dazu, dass der Fischexport zu 40 Prozent das Exportvolumen Islands ausmacht, kann man schon verstehen, in welchem finanziellen, politischen und schließlich auch moralischen Dilemma sich Island angesichts der Heringe befindet."