Osteuropa formiert sich gegen Flüchtlingsquote
Die Regierungschefs Polens, Ungarns, Tschechiens und der Slowakei haben am Freitag in Prag eine Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen erneut abgelehnt. Aus wirtschaftlicher Sicht ist diese Haltung absolut verständlich, meinen einige Kommentatoren. Andere mahnen, die Staaten in Europa müssen endlich anerkennen, dass sie die Flüchtlingskrise mitverursacht haben.
Wie soll helfen, wer selbst kaum etwas hat?
Dass Ungarn und andere osteuropäische Staaten sich weigern, ihr Territorium für durchziehende Flüchtlinge zu öffnen, ist angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage verständlich, meint die konservative Tageszeitung The Daily Telegraph: "Stellen Sie sich vor, Sie wären ein mittelloser Hauseigentümer, der es mit Ach und Krach schafft, sich finanziell über Wasser zu halten. Während Sie sich bemühen, Ihre Lebensumstände zu verbessern, entscheidet sich ein äußerst wohlhabender Nachbar, seine Türen für die Bedürftigen zu öffnen. Eine offensichtliche Möglichkeit für diese Bedürftigen zum Erreichen der gastfreundlichen Zufluchtsstätte besteht darin, mitten durch Ihr Haus zu marschieren. Könnten Sie sich vielleicht vorstellen, nicht hilfsbereit sein zu wollen, weil Sie hoffen, damit andere davon abzubringen, dieselbe Route zu wählen?"
Mitschuld an Flüchtlingselend anerkennen
Dass einige Staaten einen solch restriktiven Kurs gegenüber Flüchtlingen fahren, kritisiert das öffentlich-rechtliche Deutschlandradio Kultur als ein Wegducken vor der eigenen Verantwortung: "[W]eil gerade diese Länder zu den tatbeteiligten Mitverursachern des Flüchtlingselends gehören, das im Irak und in Syrien seinen Ausgangspunkt hat. Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei und die baltischen Staaten und vorneweg Großbritannien - sie alle gehörten 2003 zu den willigen Vasallen der USA, die das Abenteuer der Irak-Invasion mitmachten - politisch und auch militärisch. Aber mit den verheerenden Spätfolgen wollen gerade sie heute nichts zu tun haben - mit der Destabilisierung und Zerstörung der ganzen Region. ... Wenn die betreffenden Regierungen nicht bald beidrehen und sich besinnen, dann wird daraus ein Riss, der noch schwerer zu kitten sein wird als der von damals, zwischen dem alten und dem neuen Europa."
Außer Blockade fällt Osteuropa nichts ein
Die Blockade-Haltung der Visegrád-Staaten ist aus Sicht der wirtschaftsliberalen Hospodářské noviny vollkommen realitätsfern: "Barrieren bauen, Grenzen befestigen, Quoten ablehnen! Wir können nicht, wir wollen nicht, wir werden nicht! Nein, nein, nein! Wollen diese Länder mit ihrem monotonen Nein die Lage lieber aus der Ferne beobachten oder wie Ungarn anderen die Schuld geben, vor allem dem reichen, und altmodisch humanitären Deutschland? Tschechiens Premier Bohuslav Sobotka hat sich als einziger um einen positiven Ansatz bemüht. Demnach sollte die EU die Situation in den Herkunftsländern verbessern. Prima Idee, leider ohne Substanz. Wie soll denn das gehen? Mit Bomben und Panzern? ... Während die Deutschen mit Hilfe der Österreicher konkrete finanzielle, logistische, politische und moralische Lasten für die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten schultern, träumen tschechische Politiker vom Ende der Kriege auf der Erde. Ein bemerkenswerter Fall von Alibi-Politik."
Freiwillige Helfer christlicher als Politiker
Glücklicherweise sehen viele Menschen in Osteuropa das Flüchtlingselend mit mehr Empathie als die Politiker, bemerkt die liberale Tageszeitung Sme: "Unbegreiflich, dass ausgerechnet die Visegrád-Staaten, die noch immer von Narben der langjährigen Unfreiheit gekennzeichnet sind, so wenig Verständnis für die menschliche Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit aufbringen. Auf eine der größten humanitären Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg kommen von ihnen nur kaltherzige, ausflüchtende Antworten. Dagegen zeugen die Hilfspakete, die Slowaken über die Grenze zu den Flüchtlingen nach Budapest oder zum Wiener Hauptbahnhof bringen, von einer Welle der Menschlichkeit. ... Während sich die Politiker in der Rolle der Verteidiger des Christentums gefallen, erinnern die Menschen tatkräftig daran, was Christentum heißt. Hoffen wir, dass unsere Region beim Rest der Welt nicht mit den Reden der Politiker im Gedächtnis bleibt, sondern mit den Taten von Menschen, die helfen, wenn es am nötigsten ist."