Flüchtlingsverteilung per EU-Mehrheitsentscheid
Die EU-Innenminister haben am Dienstag in Brüssel die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten beschlossen - gegen die Stimmen Tschechiens, Ungarns, Rumäniens und der Slowakei. Während einige Kommentatoren dies für einen Schritt in Richtung einer gemeinsamen Asylpolitik halten, fürchten andere, dass die Mehrheitsentscheidung in dieser wichtigen Frage zum endgültigen Bruch der EU führen wird.
Vorgeschmack auf gemeinsame EU-Asylpolitik
In der Einigung auf eine Verteilung der 120.000 Flüchtlinge sieht das liberale Onlineportal Zeit Online einen ersten Test für eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik der EU: "Dazu gehören die permanente Verteilung der Ankommenden mit einem festen Schlüssel genauso wie einheitliche Asyl- und Versorgungsstandards und Aufnahmequoten für Arbeitsmigranten, etwa vom Balkan. Aber auch Registrierungs- und Aufnahmezentren an den Außengrenzen und deren Überwachung. Vor allem jedoch muss ein Ersatz für das Dublin-Verfahren gefunden werden, das restlos gescheitert ist. ... [Das alles] wäre ein Schritt dahin, die Migrationsbewegung wieder halbwegs in geordnete Bahnen zu lenken und einzelne Länder, darunter auch Deutschland, vor einer völligen Überforderung zu bewahren. Der Beschluss der Innenminister könnte ein erster Schritt dahin sein."
Tschechien kann Flüchtlinge aushalten
Die Niederlage auf dem Treffen der EU-Innenminister hat sich Prag selbst zuzuschreiben, urteilt die wirtschaftsliberale Tageszeitung Hospodářské noviny: "Wer im Sport mit 4:23 unterliegt, hat etwas falsch gemacht - im Angriff und in der Verteidigung. ... Wir haben naiv und schwach verteidigt. Niemand konnte unser Reden ernst nehmen, dass Quoten keinen Sinn machen, weil alle Migranten eh nach Deutschland oder Schweden wollten. ... Es ist egal, ob die Quote für Tschechien drei- oder zehntausend Flüchtlinge bedeuten wird. Wir sind ein selbstbewusstes Land, das problemlos ein paar Promille aus anderen Kulturen absorbieren kann. Daran haben wir uns bei Vietnamesen und Ukrainern schon gewöhnt. Wir sind ein glückliches Land, das zufällig in einem glücklichen Teil der Welt liegt und das deshalb auch großzügig sein kann - so, wie sich Europa uns gegenüber nach 1989 zeigte."
Solidarität lässt sich nicht erzwingen
Der slowakische Regierungschef Robert Fico hat die Quotenregelung noch am Dienstagabend vehement abgelehnt. So lange er im Amt sei, werde die Slowakei den Beschluss nicht umsetzen. Die linke Tageszeitung Pravda stützt den Premier in der Sache: "Die Krise wird mit der Quote nicht kleiner, sondern größer. Menschenschmuggler können sich die Hände reiben. Und die Migranten wissen, dass die EU sie aufnimmt und sie schlimmstenfalls in eines der ärmsten postkommunistischen Länder geschickt werden. ... In ein paar Monaten wird sich die Diskussion vermutlich um das tatsächliche Problem drehen - den Schutz der EU-Außengrenze. Doch damit verlieren wir wertvolle Zeit, weil immer weitere Flüchtlinge kommen. Niemand kann Solidarität erzwingen. Andererseits hätten wir eine bessere Verhandlungsposition gehabt, wenn die Regierung freiwillig Migranten aufgenommen hätte."
EU hat sich für den Bruch entschieden
Der Beschluss der EU-Innenminister ist angesichts der Flüchtlingskatastrophe zwar verständlich, doch setzt er die Gemeinschaft aufs Spiel, warnt die liberale Tageszeitung La Stampa: "Zwischen Lähmung und Bruch scheint die EU den Bruch gewählt zu haben. Ein Entschluss, den der außerordentliche EU-Rat am heutigen Mittwoch noch ratifizieren muss. Das Treffen der Staats- und Regierungschefs verspricht aber nicht nur erregt, sondern auch traumatisch zu werden. Denn die traumatische Bedeutung, die die Bildung einer Mehrheit und einer Minderheit in einer für die EU lebenswichtigen Frage hat, entgeht niemandem. ... Die Opfer des grausamen syrischen Bürgerkriegs tragen keine Schuld, doch ohne eine gemeinsam vereinbarte und tragbare Lösung beginnt ihr Drama, das Drama Europas zu werden. Eines Europas, das unfähig ist, die Herausforderung geschlossen anzunehmen und das dazu bestimmt sein könnte, einen hohen Preis zu zahlen - sowohl auf der Ebene von Stabilität und Sicherheit als auch im Bezug auf die eigene Zukunft."