Frankreich ruft EU-Bündnisfall aus
Im Kampf gegen den Terrorismus hat Paris am Dienstag militärische Unterstützung der EU-Staaten angefordert und sich dabei auf den Vertrag von Lissabon berufen. Der Krieg gegen die IS-Terrormiliz verlangt neue Methoden, kommentieren einige Medien den Schritt. Andere beleuchten die Risiken, die mit der Ausrufung des Bündnisfalls verbunden sind.
Heikle Bitte um Beistand
Dass Frankreich den EU-Bündnisfall ausgerufen hat, findet die linksliberale Süddeutsche Zeitung verständlich, aber nicht klug: "Wer nach dem Terror in Paris Solidarität mit Frankreich zeigen will, so die Forderung Hollandes, der soll mit Frankreich kämpfen. Das muss zunächst nicht in Syrien sein. Frankreich hat in vielen Krisengebieten Soldaten stehen. ... Sich auf die Beistandsverpflichtung im EU-Vertrag zu berufen, ist für Hollande wohl die einzige Möglichkeit, um von den Partnern rasch nennenswerte militärische Entlastung an anderen Fronten zu erzwingen. Sehr viel kritischer wird es, sollte die französische Regierung in Europa irgendwann Unterstützung für ihren Krieg gegen den IS in Syrien einfordern. Die Hilfe zu verweigern, hieße, einen attackierten Freund im Stich zu lassen. Gerade Deutschland, Frankreichs engster Verbündeter in Europa, kann und darf das nicht tun. Gleichzeitig aber ist in Europa durchaus umstritten, ob Gewalt das geeignete Mittel gegen den IS ist. ... Hollandes Entscheidung, den 'EU-Bündnisfall' auszurufen, könnte sich deswegen als Fehler erweisen: Im Ernstfall wird sie Europa spalten und lähmen."
Europa befindet sich in neuartigem Krieg
Paris hat mit der Ausrufung des EU-Bündnisfalls Recht, denn Europa braucht neue Antworten auf die Bedrohung durch den IS-Terrors, meint die konservative Tageszeitung ABC: "Das erste Mal in der Geschichte kontrolliert und verwaltet eine Terrorgruppe ein Territorium samt Bevölkerung und wirtschaftlichen Ressourcen. Gegenüber dem Islamischen Staat greifen die herkömmlichen Schemata nicht, die man gegen die bisherigen Terroristengruppen in Europa angewendet hat, wie gegen [die baskische] Eta, die [irische] IRA, die [italienischen] Roten Brigaden oder die [deutsche] Rote Armee Fraktion. Europa steht vor neuen Bedrohungen der Sicherheit, und die Antworten auf diese Herausforderungen verlangen, dass wir die bisherigen Verfahrensweisen ad acta legen, die eben nicht verhindern konnten, dass eine Gruppe von Fanatikern Terror in den Straßen von Paris säen konnte. Ja, es ist ein neuer Krieg."
Bündnisfall light ist symbolische Geste
Welche Vorteile der EU-Bündnisfall gegenüber einem Bündnisfall der Nato hat, analysiert der linksliberale Tages-Anzeiger: "Premiere in Brüssel: Die EU hat erstmals ihre Beistandsklausel aktiviert. Welche konkrete Hilfe Frankreich erwartet, ist allerdings noch unklar. Wichtiger ist ohnehin die symbolische Geste. Viel mehr ist gar nicht möglich, die EU besitzt ja keine Streitkräfte. Verglichen mit der Beistandsklausel der Nato, die nach 9/11 aktiviert worden war, ist die Variante der EU höchstens ein Bündnisfall light. Unter dem Schock der Anschläge von Paris war zwar die Rede davon, erneut den Nato-Bündnisfall auszurufen. Doch diese Debatte ist vom Tisch. ... Vor allem aber braucht es endlich eine politische Lösung, um der Terrorbande den Boden in Syrien und im Irak zu entziehen. Dabei ermöglicht dieser EU-Bündnisfall, dass sich Russland weiterhin an den Syrien-Gesprächen in Wien beteiligt. Wäre die Nato aktiv geworden, die Russen wären bestimmt abgereist - ein alter Reflex aus dem Kalten Krieg."
Hollande sichert sich freie Hand durch EU
Mit der Aktivierung des Bündnisfalls bewahrt sich Hollande großen Handlungsspielraum, analysiert die liberale Tageszeitung La Stampa: "Wenn Präsident Hollande sich (zumindest vorläufig) auf Artikel 42 der EU-Verträge berufen hat, statt auf Artikel 5 des Nordatlantischen Bündnisses, dann geschieht dies aus einem Grund: Er will mit der Solidaritätsbekundung die Legitimierung der EU einholen - und zwar auf politischer wie auch rechtlicher Ebene. Auf militärischer Ebene will er freie Hand haben, um mit im Aufbau begriffenen variablen Koalitionen - mit den USA, Russland und den regionalen Mächten - eingreifen zu können. Diese Zweigleisigkeit - unilateral und europäisch - ist typisch für die Politik von Paris, das so die Unterstützung der Partner erhält, doch eventuellen Einschränkungen der EU bezüglich internationaler Entscheidungen Frankreichs vorbeugend entgegenwirkt."