Syrien-Gespräche in Genf abgebrochen
Die Syrien-Gespräche in Genf sind am Donnerstag ergebnislos vertagt worden. UN-Vermittler Staffan de Mistura setzte eine dreiwöchige Verhandlungspause fest und forderte von den Beteiligten mehr Engagement. Kommentatoren sehen wenig Chancen, die Gespräche aus der Sackgasse zu holen.
Mit Putin ist kein Frieden zu machen
Seit dem Eintritt Russlands in das Kampfgeschehen in Syrien sind Friedensaussichten in weite Ferne gerückt, urteilt die liberale Tageszeitung Dagens Nyheter:
„Mit Russland im Rücken sind die syrischen Regierungstruppen neuerlich in die Offensive gegangen, verstärkt von iranischen Elitesoldaten und irakischen schiitischen Milizen. ... Nördlich von Aleppo hat Assad für den von den Rebellen kontrollierten Teil der Stadt die Versorgungswege gekappt und somit Voraussetzungen für eine weitere humanitäre Katastrophe geschaffen. ... Die Lage gibt Assad keinen Anlass zu Verhandlungen. Russland wirft Bomben auf Zivilisten und ist gleichzeitig das Land, das die wenigsten Mittel für Flüchtlinge und für humanitäre Hilfe zur Verfügung stellt. Es ist an der Zeit, sich von der Illusion zu verabschieden, Russland wolle irgendeine positive Rolle in Syrien spielen oder zu einer politischen Lösung beitragen. Der einzige, den Putin am Leben halten will, ist der Schlächter selbst.“
Zugeständnisse an syrische Rebellen erforderlich
Eine Fortsetzung der Syriengespräche in Genf ist nur sinnvoll, wenn Russland und die USA sich auf Zugeständnisse für die syrischen Rebellen einigen, meint die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Es war klar, dass den syrischen Rebellen, die Terrain an den von den Russen und Iranern aufgepeppten Assad verlieren, zumindest humanitäre Zugeständnisse gemacht werden müssen. Sie müssen etwas 'am Boden' herzeigen können, wenn schon das Ziel der Verhandlungen - Assads Abgang - nicht genauer definiert ist. Abgesehen davon ist die Hilfe aber natürlich nicht nur aus verhandlungstechnischen Gründen bitter nötig. Staffan de Mistura, der die Uno nicht mitschuldig an dieser Schieflage machen wollte, gibt mit der Gesprächsunterbrechung den Ball an Washington und Moskau zurück. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz werden sich die Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow zusammenraufen müssen. Wenn Russland 'Genf 3' wirklich will - und das tut es -, muss es faire Verhältnisse zulassen.“
Europäer bestaunen syrisch-kurdische Demokratie
Der Sondergesandte von US-Präsident Barack Obama für die Anti-IS-Koalition, Brett McGurk, hat am Wochenende zusammen mit europäischen Diplomaten die von Kurden kontrollierten Gebiete in Nordsyrien besucht. Zwar sitzt die syrische Kurdenpartei PYD in Genf nicht mit am Verhandlungstisch, doch wird sie mit besonderer Aufmerksamkeit des Westens belohnt, analysiert die liberale Internetzeitung Radikal:
„Mit diesem Besuch haben die USA die Bedeutung der Kurden im Kampf gegen den IS unterstrichen und dieser Beziehung mit einem gemeinsamen Treffen aller Akteure der Autonomie in Rojava eine politische Dimension hinzugefügt. ... In Europa wird das in Rojava präsentierte Modell unter Intellektuellen als Modell für eine 'staatenlose Demokratie' diskutiert. Den ausgegrenzten und terrorisierten Kurden ist es gelungen, mit den politischen, sozialen und intellektuellen Kreisen Europas in Interaktion zu treten. Dank ihrer Netzwerke können sie dort Rojava als ihr eigenes Modell erklären. Und für diese Rhetorik ist man dort erstaunlich empfänglich.“
Noch blutigere Phase kaum mehr abzuwenden
Auf der Syrien-Konferenz ist alles andere als eine Lösung in Sicht, kritisiert die regierungsnahe Tageszeitung Star:
„Mit der Einstellung, dass es nur Diplomatie geben soll, geht eine 'diplomatische Maßlosigkeit' einher, und zusammen mit der Unentschlossenheit der USA und der 'Politiklosigkeit' Russlands droht sich die regionale Krise so in einen Wundbrand zu verwandeln. Auch die syrische Opposition mit ihrer großen politischen Inkompetenz befördert diesen Wundbrand und sorgt dafür, dass die Syrienkrise nicht einmal minimal abflauen wird. Im Gegenteil ist es sehr wahrscheinlich, dass eine neue, noch blutigere Phase nicht abzuwenden ist und darüber hinaus die regionalen Akteure aktiv in diesen Prozess einbezogen werden. Was sonst ist angesichts der Vorgänge in Genf zu erwarten?“
Eine Sisyphos-Arbeit
Trotz der nun doch erfolgten Zusage des syrischen Oppositionsbündnis Der Hohe Verhandlungsrat sind die Erfolgsaussichten für die Syrien-Gespräche äußerst gering, glaubt der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk:
„Nicht nur die Delegationen kommen mit einer subjektiven Agenda nach Genf, auch ihre Hintermänner und jene Staaten, die das Assad-Regime und ihre Gegner politisch und militärisch unterstützen, betreiben Machtpolitik hinter den Kulissen. Daher ist Skepsis mehr als angebracht. Nur wenn die syrischen Parteien zu der Erkenntnis kommen, dass das Blutbad und die Zerstörung der Heimat endlich beendet werden muss und kann, wird es die Langzeit-Lösung geben, die dem Weltsicherheitsrat vorschwebt. Übergangsregierung, neue Verfassung und Neuwahlen. Doch das ist Zukunftsmusik. Davor müssen harte Realitäten, Uneinsichtigkeit, Hass und der Glaube an eine militärische Lösung des Syrienkriegs überwunden werden. Eine Sisyphos-Arbeit.“
Gespräche starten mit wenig Hoffnung
Die Syrien-Gespräche laufen schon jetzt Gefahr, eine Wiederholung der gescheiterten Genf-Konferenz von 2014 zu werden, meint die islamisch-konservative Tageszeitung Zaman:
„Die vor zwei Jahren mit großen Hoffnungen begonnenen zweiten Genfer Gespräche, deren Ziele - die Beendigung des Kriegs, die Bildung einer Übergangsregierung und einer neuen Verfassung - von quasi allen Seiten der internationalen Öffentlichkeit unterstützt wurden, resultierten trotzdem in einem Misserfolg. Die harte Haltung der von der syrischen Regierung gesandten Delegation bezüglich einer Übergangsregierung, die eine Aufgabe des Präsidialamts von Syriens Staatsoberhaupt Baschar al-Assad bedeutet hätte, blockierten die Verhandlungen fast vollständig. ... Die Hoffnungslosigkeit und pessimistische Atmosphäre, die die zweite Syrien-Konferenz zurückgelassen hat, wird den Erfolg der aktuellen Konferenz kaum zulassen.“
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