Fundament der Visegrád-Staaten ist porös
Die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei werden derzeit nur durch die Flüchtlingskrise und die Forderung nach Schutz für osteuropäische Gastarbeiter in Großbritannien zusammengehalten, meint der Ökonom Miklós Losoncz in der linksliberalen Wochenzeitung Élet és Irodalom:
„Die Kooperation der Visegrád-Staaten könnte eine nützliche zwischenstaatliche Institution zur Koordinierung der einzelnen Länderinteressen sein. Doch ein koordiniertes Auftreten war zuletzt nur zu beobachten, weil sie sich darin einig waren, die Quotenregelung bei der Verteilung der Flüchtlinge abzulehnen und die geplante diskriminierende Vorgehensweise Großbritanniens gegenüber osteuropäischen Arbeitnehmern zurückzuweisen. Statt positiver, konstruktiver Zielsetzungen und Initiativen bilden vielmehr Ähnlichkeiten des Staatswesens (illiberale Demokratie) und Vorbehalte gegenüber der Europäischen Union eine gemeinsame Grundlage der Visegrád-Staaten.“
Tschechien sollte sich an den Westen halten
Tschechien sollte sich gut überlegen, ob eine Nibelungentreue zu den anderen drei Visegrád-Staaten hilfreich ist, mahnt der öffentlich-rechtliche Hörfunksender Český rozhlas:
„Wie problematisch die Rolle der V4 im Rahmen der EU ist, wurde an der Kritik am Prager Gipfel deutlich. Deutschland hat klar zu verstehen gegeben, dass eine Schengengrenze in Zusammenarbeit mit dem Nicht-Schengenland Mazedonien nicht in Frage kommt und jedwede verstärkte Abriegelung der griechisch-mazedonischen Grenze nur im europäischen Konsens entschieden werden könne. Fortan sprachen die V4 unter Prager Führung denn auch nur noch von einer Backup-Lösung. Es könnte Tschechien schaden, wenn es mit den anderen V4-Staaten zu eng zusammenginge. Nicht ausgeschlossen, dass die EU an der Krise zerbricht. Es wäre nicht in unserem Interesse, wenn die Grenze durch Europa dann westlich der V4 verliefe. Es wäre besser, wir gehörten zum Teil westlich dieser Grenze.“
Deutsche Rentner werden noch nach Ungarn flüchten
Jeder, der in Europa bei Verstand ist, wird sich der Initiative der Visegrád-Staaten anschließen, glaubt Zsolt Bayer, Kommentator der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Hírlap - und weiß sogar, wo deutsche Rentner bald ihren Lebensabend verbringen werden:
„Wir müssen die Einheit und die Kooperation der Visegrád-Staaten bewahren, und wir müssen immer mehr Länder einbeziehen. Liegt es doch im ureigenen Interesse der europäischen Staaten, zu diesem Bündnis zu gehören. Denn wer eine Seele, ein europäisches Bewusstsein und natürlich einen gesunden Menschenverstand hat, der folgt Osteuropa. ... Bald werden deutsche Rentner massenweise nach Ungarn strömen, um sich in ungarischen Dörfern niederzulassen. Sie wollen an ihrem Lebensabend noch das Glockenläuten zu Mittag hören, und sie wollen nicht zuletzt auf der Straße weiße, christliche Menschen antreffen.“
Nicht Visegrád ist isoliert, sondern Merkel
Kritik an den Prager Beschlüssen der Visegrád-Länder (V4) ist fehl am Platz, wehrt sich die linke Tageszeitung Pravda, die der Regierung Fico nahe steht:
„Das System mit Deutschland als Europas Chef funktioniert nur in guten Zeiten. Es zeigt seine Schwächen, wenn der Kontinent vor großen Problemen steht. Das Prinzip, wonach deutsche Lösungen immer auch gute Lösungen sind, ist nicht universell. ... In der Flüchtlingskrise hat Angela Merkel geirrt. Die Vertreter der Visegrád-Länder - das zeigt sich immer deutlicher - hatten von Anfang an Recht. Man kann vor der Realität nicht ewig die Augen verschließen. Zur Realität gehört die Einführung von Obergrenzen in Dänemark, Schweden und Österreich. ... Nur Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn unterstützt noch die Kanzlerin und warnt die V4, abtrünnig zu werden. In Wahrheit ist nur eine einsam: Königin Angela.“
Westeuropa nimmt Osten nicht ernst
Dass die vier Visegrád-Staaten in der Flüchtlingspolitik gemeinsam Front machen, liegt daran, dass ihre Belange in der EU nicht gehört werden, meint Mátyás Lajtai auf dem Blog des Politikforschungsinstituts Nézőpont:
„Die Flüchtlingskrise hat gezeigt, dass die gesellschaftlichen und politischen Handlungsmuster Westeuropas in den Augen der Mittel- und Osteuropäer nichts taugen. Die Entscheidungsträger dieser Länder sind zu dem Schluss gelangt, dass sie sich nur durch ein gemeinsames Auftreten gegen das Diktat Westeuropas behaupten können. ... Den Mittel- und Osteuropäern wird auch immer mehr bewusst, dass sie von den westlichen Entscheidungsträgern nicht als gleichberechtigte Partner behandelt werden. Die sogenannten 'europäischen Werte' sind westlich, osteuropäische Eigentümlichkeiten haben dort keinen Platz.“
Bulgarien lehnt Plan B zu Recht ab
Bulgarien wird sich nicht am "Plan B" der Visegrád-Staaten beteiligen, das hat Premier Bojko Borisov am Montag bekanntgegeben. Die richtige Entscheidung, freut sich die Tageszeitung Standart:
„Während seines Besuchs in Sofia vor ein paar Wochen lancierte der ungarische Premier Viktor Orbán die Idee von Befestigungsanlagen an den Grenzen Bulgariens und Mazedoniens zu Griechenland. Dieser Plan birgt mehrere Gefahren: Er würde die wirtschaftlichen Beziehungen auf dem Balkan stark belasten. Es könnte eine sehr unangenehme politische Stimmung entstehen und die EU hätte einen Vorwand, sich in Bezug auf die vielen anderen Probleme der Balkanregion aus der Verantwortung zu stehlen. Die Flüchtlingskrise kann offensichtlich nur auf gesamteuropäischer Ebene gelöst werden.“
Die Abtrennung des schwächsten Glieds
Geht es nach den Visegrád-Ländern soll die mazedonisch-griechische Grenze geschlossen werden. Doch wenn Griechenland dermaßen allein gelassen wird, ist der Zusammenhalt in der EU für immer zerstört, fürchtet die liberal-konservative Tageszeitung Die Presse:
„Setzt sich diese Idee durch, so ist zwar das schwächste Glied abgetrennt, aber auch der Zusammenhalt der EU-Staaten aufgelöst. Ungarn und die Slowakei mögen sich kurzfristig freuen, dass sie noch weniger mit muslimischen Zuwanderern konfrontiert sind als bisher. Doch es wird der Tag kommen, an dem auch sie selbst Hilfe bei Flüchtlingswellen aus dem Osten oder bei anderen Krisen benötigen. Sie werden diese nicht mehr erhalten. Kein EU-Land wird sich mehr auf die anderen verlassen können. Und: Wenn das schwächste Glied entfernt ist, wird irgendjemand anderer das neue schwächste Glied sein.“
Visegrád-Länder scheuen vor klarer Ansage zurück
Polen und Tschechien plädierten auf dem Visegrád-Gipfel trotz der gemeinsamen Pläne mit Ungarn und der Slowakei für eine EU-Gesamtlösung. Die Verwässerung der zuvor klaren Linie der Vierergruppe bedauert deshalb die konservative Lidové noviny:
„Deutschland beschwerte sich und Mazedonien und Bulgarien versagten einer alternativen Form des Schengen-Raums [mit einem sich selbst überlassenen Griechenland] die Unterstützung. ... Das ist traurig, denn der Ausgangspunkt war richtig: Griechenland vermag die Flüchtlinge nicht mal zu registrieren und tut - wie die Türkei - nichts, um den Zustrom an Migranten zu bremsen. Wenn, nachdem Österreich seine Obergrenze einführt, Deutschland dem folgen sollte, entstünde auf dem Westbalkan ein explosiver Kessel. Und im Falle eines Überdrucks wäre Visegrád die letzte Koalition, die Druck aus dem Kessel lassen könnte.“
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