Fico verliert absolute Mehrheit in der Slowakei
Bei der Wahl in der Slowakei hat die sozialdemokratische Partei von Premier Robert Fico ihre absolute Mehrheit eingebüßt. Die rechtsextreme Partei LS-Nase Slovensko zog erstmals ins Parlament ein. Kommentatoren sind besorgt über das zunehmende Abdriften der Slowaken nach rechts.
Neue Regierung ist besser als Neuwahlen
Der amtierende sozialdemokratische Premier Robert Fico hat am Dienstag mit drei Mitte-rechts-Parteien eine Einigung über die Bildung einer Regierung erzielt. Die linke Tageszeitung Pravda begrüßt das:
„In einer Umfrage zwischen dem 10. und 14. März erwartete die Mehrheit, dass die Entwicklung auf vorgezogene Wahlen hinauslaufe. Allerdings meinten nur zwölf Prozent, dass das eine gute Lösung wäre, würden doch neuerliche Wahlen am meisten den Rechtsextremisten helfen. ... In einem ersten Schritt muss sich jetzt zeigen, dass die Vereinbarung auch praktische Folgen hat. Es herrscht derzeit ein allgegenwärtiges Gefühl der Ungerechtigkeit und es gibt soziale Probleme. Auch über die Korruption sprechen längst nicht mehr nur die Sympathisanten der Faschisten. ... Sollten die Parteien jetzt versagen, würde das für sie den unbarmherzigen Fall nach sich ziehen. Und für uns ein politisches Erdbeben. In diesem Sinne ist diese Regierung auch unsere letzte Chance.“
Polit-Elite hat versagt
Der Vormarsch der rechtsradikalen Partei LS-Nase Slovensko ist auf das Unvermögen der politischen Elite zurückzuführen, die Slowakei auf Vordermann zu bringen, meint die ungarischsprachige Tageszeitung Új Szó:
„[Parteichef] Marian Kotleba hat sich mit Aussprüchen wie 'Zigeunerparasiten', 'Zionistenlobby' und 'ungarische Chauvinisten' ins kollektive Gedächtnis katapultiert. Dem besorgniserregenden Erfolg der Partei hat ausgerechnet die regierende Smer von Premier Robert Fico mit ihrer Migranten- und EU-feindlichen Stimmungsmache den Weg geebnet. Ein weiterer Grund für den Vormarsch der rechtsextremen Partei ist die Enttäuschung der Wähler im Hinblick auf die etablierten Parteien. Weder wurde in den vergangenen 25 Jahren das Bildungs- und Gesundheitswesen verbessert, noch wurden das überhandnehmende Problem der Korruption oder die Romafrage gelöst. Immer mehr Wähler sehnen sich nach einem politischen Führer, der rasche, radikale Antworten bietet.“
Neuwahlen sind durchaus denkbar
Der slowakische Präsident Andrej Kiska will am heutigen Dienstag den nominellen Sieger der Parlamentswahl, Premier Robert Fico, mit der Regierungsbildung betrauen. Weil die Parteien aber wenig Bereitschaft zu Koalitionen erkennen lassen, sind dessen Chancen nicht groß, meint die linke Tageszeitung Pravda:
„Wahrscheinlich erwarten uns Neuwahlen. Die Frage scheint nur zu sein, ob sie kommen, wenn die Akteure eingestehen, dass sie in einer ausweglosen Lage sind, oder nach mehreren Versuchen, eine dann doch nicht haltende Regierung zu bilden. ... Verständlich, dass man zunächst reden und etwas versuchen will. ... Nur wenn im demokratischen Lager der Gedanke überwiegt, dass es jetzt um höhere Interessen geht, wird es eine Regierung mit einem minimalistischen Programm geben. Die könnte bestehen bleiben, solange wir dem EU-Rat vorstehen und bis Neuwahlen nicht zu einer Wiederholung des März-Debakels oder gar zu Schlimmerem führen.“
Premier stärkt indirekt die Rechtsradikalen
Mit seiner fremdenfeindlichen Rhetorik hat Premier Fico die radikale Rechte stark gemacht, meint die linksliberale Tageszeitung Delo:
„Die Wähler haben gemerkt, dass der führende Sozialdemokrat die Probleme der Gesellschaft vergessen hat. Es geht dabei um Probleme, die es gar nicht geben dürfte, würde er eine sozialdemokratische Politik machen. Deshalb hat die regierende Sozialdemokratische Partei auch so viele Stimmen verloren. Und an Stelle der moderaten Rechten ist die extreme Rechte ins Parlament eingezogen - eine Partei, die nicht einmal versucht ihre nazistischen Wurzeln und neonazistischen Ansichten zu verbergen. … Eine Lehre aus dieser Geschichte könnte sein: Wo die Linken mit rechten Ansichten spielen, gewinnen die Rechtsextremen.“
Ungarische Minderheit überall in der Krise
Bei der slowakischen Parlamentswahl schaffte die Partei der ungarischen Minderheit SMK nicht den Sprung ins Parlament, die slowakisch-ungarische Mischpartei Híd kam nur auf 6,5 Prozent. Die Situation der politischen Vertretungen ungarischer Minderheiten in Ostmitteleuropa ist generell schlecht, was auch der Einflussnahme aus Ungarn geschuldet ist, meint die konservative Tageszeitung Magyar Nemzet:
„Die Politik der ungarischen Minderheit in der Slowakei steckt in einer tiefen Krise. Diejenigen, die das auf die Bösartigkeit der Slowaken zurückführen, machen einen großen Fehler. Dass es so weit gekommen ist, daran trägt auch die Politik in Ungarn Schuld, die zu wissen meint, wie die ungarische Minderheit tickt, die in einem ganz anderen Umfeld sozialisiert wurde. Es gibt keine Pauschalrezepte für die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern Ungarns. Und vor allem gibt es keine gemeinsamen Slogans, die in den einzelnen Staaten die gleiche Wirkung erzielen. “
Slowaken sehen ihre Kultur bedroht
Die Strategie von Premier Robert Fico, mit einem fremdenfeindlichen Wahlkampf zu punkten, hat nicht funktioniert, konstatiert der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk:
„Viele Wähler haben besser als die Regierung erkannt: Nicht die Familien aus dem Irak, Syrien oder Afghanistan sind die Hauptgefahr für den neuen Wohlstand der Gesellschaft. Viel bedrohlicher sind die allumfassende Korruption und eine falsche Verteilung der Ressourcen. ... Vor allem die Menschen im armen Osten des Landes fühlen sich zunehmend abgehängt vom wachsenden Wohlstand in der Boomregion Bratislava. Das grenzenlose Europa ist für sie keine Verheißung, sondern eine Entwicklung, die ihre Lebensart in einer homogenen Gesellschaft bedroht. Die deutsche Willkommenskultur und die westeuropäischen Multikulti-Gesellschaften überfordern nicht nur die Slowaken, sondern auch die Mehrheit der Menschen in ganz Mittel- und Osteuropa.“
Rechtsextremismus darf sich nicht ausbreiten
Die rechtsextreme Partei LS-Nase Slovensko belegt künftig 14 Sitze im Parlament der Slowakei. Das hält der Politologe Grigorij Mesežnikov in der liberalen Tageszeitung Sme für gefährlich, da das Land noch keinen Schutz gegen rechtsradikale Parteien entwickelt hat:
„Es gibt in Europa nicht viele Länder, in denen es ähnlichen Parteien gelang, bis in den Mainstream der politischen Szene vorzudringen. Die LS-Nase Slovensko ist mehr als nur eine radikal nationalistische und europhobe Partei vom Typ des Front National. In den größeren Ländern der EU gelang es früher, solche Parteien an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Die systemkonformen Kräfte entwickelten zudem einen funktionierenden Mechanismus, der es den Extremisten unmöglich machte, die demokratische Ordnung zu bedrohen. Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür. In der Slowakei sind aber solche Mechanismen bislang nicht entwickelt.“
Ideenloser Kampf um die Wähler
Enttäuscht vom Werben der Parteien um die Wähler zeigt sich die liberale Tageszeitung Dennik N:
„Den Ton gab die regierende Smer an und dies mit einem Phantomthema - dem der Flüchtlinge, die es im Land gar nicht gibt. ... Die Debatte, in der von 'Terroristen' die Rede war oder vom 'Diktat Brüssels', wird möglicherweise nach den Wahlen aufhören. Das neue Kabinett muss sich dann um unsere EU-Ratspräsidentschaft kümmern, braucht keine Wähler mehr zu mobilisieren und wird sich vermutlich eines rationaleren Sprachgebrauchs bedienen. Doch der Schaden ist jetzt schon groß genug. ... Es war ein seltsamer Wahlkampf, ohne jede Energie. Die Regierungspartei hat erneut keine Vorstellungen darüber formuliert, wie das Land in den kommenden vier Jahren aussehen soll. Und die Opposition reagierte nur, konnte die Öffentlichkeit nicht wie 1998 oder 2010 mobilisieren, sondern steckte alle Energie in Angriffe untereinander. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Regierung wiedergewählt wird.“
Zeit für einen Wechsel in Bratislava
Dem Land täte eine Abwahl der Regierung Fico eigentlich gut, meint die wirtschaftsliberale Tageszeitung Hospodářské noviny:
„In den vergangenen vier Jahren regierte Fico allein. Seine Smer erreichte in der Wahl das Rekordergebnis von 44 Prozent. Eine solche Konzentration der Macht hat es in der postkommunistischen Slowakei noch nie gegeben. Auch deshalb ist die Wahl wieder ein Referendum über Fico. Und auch deshalb tat Fico alles für seinen Sieg. ... Doch die letzten Umfragen zeigten, dass seine Popularität sinkt. Womöglich reicht es trotz des Themas Flüchtlinge nicht zur Regierung ohne Partner. ... Während der vergangenen zehn Jahre hat Fico das Bild der Slowakei geprägt. Das ist ermüdend. Wenn sich das Land einen kleinen Rest seiner mentalen Gesundheit bewahren will, sollte es fähig sein, die Regierung auszuwechseln. Schon aus einem gewissen Selbstschutz heraus.“