Davutoğlu macht Druck wegen Visafreiheit
Der türkische Premier Ahmet Davutoğlu hat die EU aufgefordert, die zugesagte Visafreiheit für Türken ab Juni umzusetzen. Andernfalls könne man von der Türkei nicht erwarten, dass sie ihre Verpflichtungen gegenüber der EU einhalte, betonte er. Lässt sich die EU von der Türkei wegen des Flüchtlings-Deals erpressen?
Ankara kann die EU gar nicht erpressen
Man sollte die Drohungen aus Ankara, den Flüchtlingsdeal mit Europa platzen zu lassen, nicht zu ernst nehmen, relativiert die in Prag erscheinende Právo:
„Immer wieder hört man, der Deal sei für Europa unvorteilhaft, weil sich die Türkei ihre Hilfe nicht nur fürstlich bezahlen lasse, sondern die EU auch erpressen könne. So einfach ist das aber nicht. Die Türkei wird sich die Aufkündigung der Vereinbarung gut überlegen, selbst wenn sie die Visafreiheit nicht bekäme. Milliarden Euro, die die EU für die bessere Versorgung der Flüchtlinge versprach, sind keine Kleinigkeit für ein Land, das sich momentan um zwei Millionen Flüchtlinge kümmert. Die Türkei braucht dieses Geld unbedingt. Noch entscheidender als die wirtschaftliche Hilfe ist allerdings die Tatsache, dass die Balkanroute de facto blockiert ist. Die Türkei könnte den Schmugglern zwar neuerlich grünes Licht geben. Doch die Flüchtlinge kämen nicht weiter als bis nach Griechenland. Die Nachfrage würde nicht lange anhalten.“
Reisefreiheit schüfe gefährlichen Präzedenzfall
Im Rahmen des Türkeibesuchs von Merkel und Tusk hat Davutoğlu die Forderung nach einer Aufhebung der Visapflicht erneut bekräftigt. Die EU darf gegenüber Ankara nicht weiter nachgeben, warnt Le Figaro:
„Wo wird die Unterwerfung enden? Die Menschenrechte müssen herhalten, wenn man sein Schicksal in die Hände eines Mannes legt, der rund 2000 seiner Mitbürger wegen 'Beleidigungen' (das ist das Wort für jegliche Kritik) ihm gegenüber gerichtlich verfolgen lässt. Ihm gegenüber in Sachen Visafreiheit nachzugeben, würde einen Präzedenzfall schaffen, den andere Länder ausschlachten würden: die Ukraine, Georgien und selbst das Kosovo, der selbsternannte Staat ohne offizielle Existenz. Gewiss verlangt die Flüchtlingsfrage eine Kooperation mit Syriens Nachbarländern, doch weder Jordanien noch der Libanon greifen zu einer Erpressung, wie sie sich die Türkei erlaubt. Wenn Europa kapituliert, anstatt selbst wieder die Kontrolle seiner Grenzen in die Hand zu nehmen, wird dies den Kontinent teuer zu stehen kommen.“
Ankara nutzt Deal mit der EU gnadenlos aus
Zutiefst verärgert über Davutoğlus Forderung nach einer schnellen Visa-Freiheit zeigt sich die Tageszeitung Duma:
„Die Dreistigkeit der türkischen Machthaber sprengt alle Grenzen. ... Wir sollen also vor dem Land niederknien, das zu den Hauptverantwortlichen gehört für die Bürgerkriege, die Millionen Menschen in die Flucht getrieben haben. Wir sollen Sultan Erdoğan verehren, weil er den Schlüssel zu den Pforten Europas in der Hand hält und praktisch alles verlangen kann. Wenn Europa einmal einknickt, wird es noch tiefer einknicken, denkt er sich. Was bedeuten ihm schon Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Alles Quatsch. Die EU braucht die Türkei, sagt der Präsident. Also tanzt die EU nach seiner Pfeife.“
Baldige Visa-Freiheit für Türken illusorisch
Dass es überhaupt in naher Zukunft Visafreiheit im Schengenraum für die Türken geben wird, hält Milliyet aus politischen Gründen für unrealistisch:
„Selbst wenn ein Wunder geschieht und wir es schaffen, bis zum Ende des Monats alle Kriterien zu erfüllen, wird die EU uns ihre Grenzen nur zögerlich öffnen. Denn europäische Politiker, die dem zustimmen, werden es beim nächsten Urnengang schwer haben. Visa-Befreiungen im Juni, ja selbst im nächsten November sind illusorisch. Offenbar sind die Beziehungen nun deshalb angespannt. Dabei hätten wir vor der Einführung der kompletten Visafreiheit eine Übergangsphase vorschlagen können. Zum Beispiel hätte man zunächst Gruppen wie Wissenschaftler, Sportler und Künstler ohne Visum reisen lassen können. ... Oder fällt es uns etwa leichter, das Vorhaben nach Erfüllung der Kriterien und anschließendem Streit in eine Sackgasse zu führen?“