Politik weiß, wann sie von Hooligans profitiert
Die noch amtierende Regierung in Zagreb will am heutigen Montag Maßnahmen gegen Gewalt von Hooligans beschließen. Auslöser sind die Ausschreitungen kroatischer Fans während des Spiels Kroatien–Tschechien am Freitag. Wie heuchlerisch, kritisiert Jutarnji list:
„Die Verbindungen zwischen Hooligans und wirtschaftspolitischen Machtstrukturen sind ein offenes Geheimnis - von Sizilien bis Russland. Der Anführer der russischen 'Ultras', Alexander Schprygin, zeigt sich mit Putin, grölt ab und an 'Sieg Heil' oder 'Russland den Russen' und bekennt offen: 'Fans sind ein mächtiges und starkes Werkzeug der Regierenden.' Der Staat hat schon lange begriffen, dass Fan-Vereinigungen die massenhafteste Erscheinung von Heimattreuen sind und nutzt das aus. Von daher ist es ziemlich scheinheilig, wenn gerade diejenigen schärfere Regeln ankündigen, die die bestehenden Gesetze gegen Hooligans demonstrativ nicht anwenden.“
Neonazi-Hooligans so schlimm wie IS-Terroristen
Angesichts der Ausfälle und Ausschreitungen gewaltbereiter Fans in der ersten EM-Woche zieht Kolumnist Pantelis Boukalas in Kathimerini eine Parallele zwischen Hooligans und IS-Terroristen:
„Es ist dieselbe Art von blindem Glauben, der es dem IS-artigen Extremismus möglich machte, in Frankreich aufzutauchen, ohne dass sich ein einziger Dschihadist aus dem Nahen Osten dorthin bewegen musste. Den Beginn machten englische Fans, die den Ärmelkanal überquert haben - nicht um ein Spiel zu sehen, sondern um in betrunkener Arroganz zu grölen: 'IS, wo bist du?' Sie wollten somit auf brutalste Weise ihre 'ewigen Feinde' - die Franzosen - beleidigen. Ihnen folgten deutsche Neonazis, die in Frankreich Nazibanner schwenkend ankamen und in fürchterlicher Weise skandierten: 'Wir marschieren wieder ein'. Mit dabei - obwohl Rivalen im Stadion - sind als ideologische Verbündete die brutalen russischen Faschisten. So hat Europa seine eigene Form des IS, seine Neonazis, die die gleichen 'Werte' teilen: Hass, Blut, Vernichtung des Anderen.“
Die Angst vor Moskau wird siegen
Die Uefa wird schlussendlich gegen Moskau Milde walten lassen, weil sie Angst vor der russischen Reaktion hat, glaubt Mirosław Żukowski von der Tageszeitung Rzeczpospolita:
„Dass Russland wegen der verbrecherischen Ausschreitungen der Hooligans tatsächlich von den Europameisterschaften ausgeschlossen wird, kann man sich nur schwer vorstellen. Die Uefa hat zwar gedroht, doch kennt sie auch die möglichen Konsequenzen dafür. Ähnlich war es auch beim Internationalen Leichtathletikverband, der mit Russland wegen des Dopings Probleme hat. Eigentlich sollte eine Entscheidung über den Ausschluss von den Olympischen Spielen in Rio längst gefallen sein. Doch verzögert sich das, weil es eben um Russland geht. Obwohl man mit der Faust auf den Tisch hauen sollte, ist da doch eine gewisse Angst vor Moskau.“
Russland nicht hart genug gegen Hooligans
Warum Russen besonders stark an den Fan-Ausschreitungen beteiligt waren, erläutert die Financial Times:
„In Russland gibt es einen Unterschied: Es ist das Ausmaß, mit dem der nationalistische Hass der Fans und das Gefühl, sich im Kriegszustand mit dem Rest der Welt zu befinden, - beides deckt sich übrigens mit den Haltungen der Führungseliten - von der Regierung stillschweigend oder ausdrücklich gefördert wird. Russische Funktionäre verurteilen nur selten Gewalt und halten Anhänger mit einer einschlägigen Vergangenheit nicht davon ab, ins Ausland zu Spielen zu reisen. ... Russlands Rolle als Veranstalter der nächsten Fußball-WM 2018 sollte hinterfragt werden, wenn es nicht endlich seine Hooligans zurückhält.“
Moskau muss Hooligans zur Räson bringen
Die Uefa hat am Sonntag Anklage erhoben, nachdem am Vorabend im Stade Vélodrome von Marseille russische Fans auf englische Fans losgegangen waren. Russland muss seine Hooligans genauso hart bestrafen, wie es einst England tat, fordert der fußballbegeisterte Chefkommentator Jindřich Šídlo in Hospodářské noviny:
„England wurde 1986 für fünf Jahre von den europäischen Pokalwettbewerben ausgeschlossen. Die Regierung erklärte die Hooligans zu Staatsfeinden. Die Klubs mussten riesige Summen in die Sicherheit der Stadien investieren. Die EM 1996 verlief dann dort problemlos. ... Die russische Fußballföderation will ihre 'Fans' jetzt bestrafen. In Marseille waren aber nicht Betrunkene am Werk, sondern gut organisierte Ultra-Kommandos. Ein Grund dafür, dass keiner von denen gefasst und dem Richter vorgeführt werden konnte. ... Russland hat zwei Jahre Zeit - bis zur WM -, um seine Verbrecher von Marseille und deren Bewunderer zur Räson zu bringen.“
Uefa mitverantwortlich für Randale
Die Uefa hat zwar damit gedroht, Russland und England vom Turnier auszuschließen, doch der Verband ist selbst mitverantwortlich für die Randale, kritisiert Trouw:
„Ein Ausschluss ist tatsächlich eine reale Option. Doch dabei gibt es zwei bedenkliche Aspekte. Erstens würde das von der Verantwortung der Uefa selbst ablenken und außerdem wäre es keine Lösung, um Fan-Ausschreitungen ein für alle Mal zu verhindern. Es ist doch unglaublich, dass man zum Beispiel erst nach den Krawallen erwog, ein Alkoholverbot in den Stadien zu verhängen. ... Bestimmt denn der Kommerz alles, so dass man erst einmal ausprobiert, ob das Verkaufen von Alkohol funktioniert? Das Trockenlegen ist eine notwendige, aber sicher nicht ausreichende Bedingung für den ruhigen Verlauf eines Fußballturniers.“
Rowdies machen den Fußball kaputt
Hooligans beschmutzen das Image einer ganzen Sportart, bedauert der Blogger Péter Benkő auf Presztízs Sport:
„Der Fußball ist wohl das leidenschaftlichste Spiel der Welt. Es ist kein Problem, wenn sich die Fans von ihren Gefühlen mitreißen lassen, wenn sie jubeln, schreien und toben. Das gehört dazu, deshalb ist der Fußball Fußball. ... Das Problem liegt darin, dass viele Menschen die leidenschaftlichen Anhänger mit den Hooligans verwechseln. Diejenigen, die in Marseille randalierten, sind keine Fans. Sie waren lediglich davon angetrieben, mächtig Zoff zu machen und sich zu prügeln, mit dem Fußballsport hat das nichts zu tun. Diese Rowdies sind mitnichten leidenschaftlich, sondern unendlich dumm. Sie müssen tatsächlich aus den Stadien entfernt werden. Der Schaden, den der Hooliganismus am Fußballsport anrichtet, ist ungemein groß.“
Gefährlicher Nationalismus
Alkohol und Fußball bilden einen gefährlichen Cocktail, der explodiert, wenn ihm ein weiteres Element beigemengt wird, erklären die Salzburger Nachrichten:
„Die gefährlichste Zutat an diesem Wochenende aber war der Nationalismus. So und so schon giftig genug, wurde er zum Träger der Gewalt. Die Mär vom belagerten Vaterland, der draußen lauernden Bedrohung, der heldenhaften Gegenwehr und dem eigenen Land als Bollwerk bereiten den Boden. 'Fuck off Europe', grölten die Engländer, 'wir wählen alle Brexit'. Russische Fans wiederum verhöhnten angeblich englische Flaggen. Der Angriff russischer Schläger auf den englischen Sektor im Stadion wurde zur heroischen Selbstverteidigung: '250 russische Fans schlugen eine Attacke von einigen Tausend Engländer zurück und zwangen sie zur Flucht', jubelte die staatliche russische Agentur Vesti laut 'Guardian'.“
Absolute Sicherheit kann es nicht geben
Trotz höchster Alarmstufe der französischen Sicherheitskräfte gibt es Lücken beim Schutz der Europameisterschaft, mahnt die Tageszeitung Népszabadság:
„Die Ausschreitungen und Zusammenstöße russischer und britischer Rowdies haben uns vor Augen geführt, dass es totale Sicherheit nicht geben kann. Mag sein, dass aufgrund der Terrorgefahr jede Essenstüte durchleuchtet wird und an jeder Ecke bis auf die Zähne bewaffnete Sicherheitskräfte postiert sind, so dass es selbst Chuck Norris angst und bange würde. Gleichwohl ist es unmöglich, allenthalben Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. ... Personen ohne Waffen vermochten just an einem Ort ganze Straßenzüge zu zerstören, an dem höchste Sicherheitsalarmstufe herrschte. ... Damit haben sie für alle sichtbar unter Beweis gestellt, dass selbst die größtmöglichen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren keine Garantie für Sicherheit sind.“
Hooligan-Problem auch nach der EM bekämpfen
Sollten sich Szenen wie in Marseille wiederholen, droht die Uefa den Mannschaften von Russland und England mit EM-Ausschluss. Das Problem kann jedoch nicht im Laufe des Turniers bewältigt werden, glaubt La Libre Belgique:
„Die Bilder, die die Gewalt zwischen gegnerischen Fans zeigen, rufen dramatische Erinnerungen wach. Sie bringen - sofern dies nötig ist - vor allem in Erinnerung, dass der Hooliganismus weiterhin eine tief klaffende Wunde in der Fußballwelt ist. Einige hatten geglaubt, die gewalttätigen 'Fans' durch den Ausschluss von Meisterschaften und aus den angesagtesten Stadien gebändigt zu haben. Doch tatsächlich wurden sie - sei es in England, Russland oder anderswo - allerhöchstens in weniger angesagte Clubs und Meisterschaften abgeschoben. Auch wenn Frankreich und die Uefa alles in ihrer Macht stehende tun, um weitere Ausschreitungen zu verhindern, kann die Wunde nicht jetzt, mitten im Turnier, vernarben. Jedes Teilnehmerland hat die Aufgabe, dieses Übel nach der Europameisterschaft mit aller Kraft und bis auf die Wurzel auszurotten.“