Ein Bild des Schreckens aus Aleppo
Das Foto eines kleinen Jungen, der einen Bombenangriff in Aleppo überlebt hat, geht um die Welt. Die Medien neigen dazu, spektakuläre Ereignisse zu vereinfachen, kritisieren Kommentatoren und warnen vor dem häufigen Gebrauch symbolhafter Kinderbilder.
Der Massenmord geht über Syrien hinaus
Das Bild des kleinen Omran zeigt einmal mehr, wie sehr die Medien vereinfachen, konstatiert Avvenire:
„Indem sie einzelne Geschehnisse gezielt in den Vordergrund stellen, maßen sich weite Teile der öffentlichen Meinung an, Überbringer der einzigen Wahrheit zu sein. Das Szenarium der Verrohung wird dabei in Schwarz-Weiß präsentiert, mit den Opfern auf der einen und den Tätern auf der anderen Seite. Tatsache ist, dass der Akzent allzu häufig auf jene Ereignisse gesetzt wird, die sich medienwirksam vermarkten lassen. Maßstab ist das vermeintliche Interesse der Leser und der Sensationsgrad der Geschehnisse. So prangte auf allen Titelseiten der Welt das Bild des kleinen Omran. ... Doch wäre es angemessen gewesen, daran zu erinnern, dass Omran Symbol eines Massenmords ist, der weit über die Grenzen des gemarterten Syrien hinausgeht. Alle fünf Minuten stirbt irgendwo auf der Welt ein Kind als Ergebnis eines Gewaltakts.“
Inflation schrecklicher Kinderbilder
Der Schriftsteller Miljenko Jergović erinnert in Jutarnji list an die Geschichte emblematischer Bilder von Kindern im Krieg und warnt vor deren inflationärem Gebrauch:
„Der kleine Junge mit erhobenen Händen im Warschauer Ghetto, das nackte Mädchen in Vietnam, das zynisch-lapidar als 'Napalm Girl' bekannt wurde, das Mädchen im himmelblauen Mantel aus Vukovar. ... Seitdem die USA ihre Kriege im Nahen und Mittleren Osten führen und die Staaten mit muslimischer Mehrheit in die Luft jagen - angeblich im Namen der Demokratie - ist es zu einer eigenartigen Inflation des kindlichen Unglücks gekommen. Die Bilder werden immer schrecklicher und schrecklicher, erreichen uns eines nach dem anderen und führen zu einer gefährlichen Abstumpfung bei den Betrachtern. Die Kinderchen werden so gezeigt, dass ihre Bilder sich abgenutzt haben wie die Fotos von Haustieren. Blutige, tote Kinderchen.“
Niemand übernimmt Verantwortung
Für die Schriftstellerin Dacia Maraini bleibt die Welt Omran Daqneesh Antworten schuldig. Sie schreibt im Corriere della Sera:
„Das vom Grauen versteinerte Gesicht von Omran, von Staub und Blut bedeckt, sagt über den Krieg das aus, was niemand in Worte fassen kann. In den Augen des kleinen Omran steht die immer gleiche stumme Frage: Warum? Eine Frage, auf die niemand eine sinnvolle Antwort zu geben weiß. … Eine Antwort, die ein verantwortungsvoller Erwachsener dem Kind schuldig ist. Und Verantwortung ist genau das, was in diesem Krieg, in diesem Blutbad fehlt. Verantwortung bedeutet, die Folgen der eigenen Handlungen abzuwägen. Doch wie viele der Bomberpiloten, der Politiker, der Staatsmänner sind sich der Folgen ihrer Handlungen bewusst? Auf der ganzen Linie scheint Besinnungslosigkeit zu herrschen, die Unfähigkeit, das Grauen zu sehen und zu begreifen, was man mit den eigenen Entscheidungen hervorruft.“
Die Welt braucht solche Bilder
Selbst Bilder wie das des kleinen Omran Daqneesh werden viel zu schnell vergessen, beobachtet die Süddeutsche Zeitung:
„Auch wenn man der Ästhetisierung des Schreckens skeptisch gegenüberstehen mag, auch wenn man Emotionalisierung durch das Hervorstellen des Leids von Kindern fraglich findet: Ohne solche Fotos würde es den Zuschauern noch einfacher fallen, Augen und Herzen vor dem ganz alltäglichen Horror zu verschließen. Denn wer nimmt die stündlich eintreffenden Schreckensmeldungen aus Syrien noch wirklich wahr? Und wer hört die aus dem unsichtbaren Kriegsland Jemen? Bedenklicher als die Reduktion von Konflikten auf ikonische Momente ist der Umgang mit diesen Bildern: Sie werden in den sozialen Medien geteilt – und anschließend vergessen, sobald sie auf der unteren Hälfte des Bildschirms verschwinden. Das Leiden in Aleppo und anderswo geht jedoch weiter, auch wenn der Tsunami des Mitgefühls im Internet abfließt.“
Flugverbotszone würde Gräuel verhindern
Theresa May sollte die Weltgemeinschaft zur Einrichtung einer Flugverbotszone drängen, wie dies ihr Vorgänger John Major 1991 im Irak zum Schutz der Kurden erreicht hat. Das ist die Forderung, die Hamish de Bretton-Gordon, ehemaliger Leiter des Nato-Regiments für chemische, biologische, radiologische und nukleare Waffen, im Daily Telegraph formuliert:
„Unsere neue Premierministerin hat meiner Einschätzung nach die gleiche unauffällige stählerne Härte wie John Major. Ich appelliere an sie, die internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, dass ein weiteres Mal eine Flugverbotszone eingerichtet wird. Langsam fliegende Hubschrauber, die Fassbomben abwerfen, sind relativ leicht aufzuspüren und aufzuhalten. Und eine derartige Maßnahme ist schnell zu realisieren. Die britische Marine hat im östlichen Mittelmeer sogar die Kapazitäten, das selbst zu tun. Es ist Zeit, dass gute Männer und Frauen zur Tat schreiten. Damit Omran Daqneesh und seine Generation überleben und ein neues Syrien aufbauen können - und nicht eine weitere traurige Statistik in diesem Genozid werden oder gar die Dschihadisten von morgen.“