Darf Brüssel in Irlands Steuerpolitik eingreifen?
Irlands Finanzminister Michael Noonan hat Apple als "Saatkartoffel" bezeichnet, die dem Land Arbeitsplätze und Wachstum bringt. Die EU-Kommission sieht den Konzern hingegen als Steuertrickser, der Dublin Einnahmen nimmt. Brüssels Entscheidung, Apple zu einer Steuernachzahlung von 13 Milliarden Euro an Irland zu verdonnern, wird von Kommentatoren scharf kritisiert. Sie mahnen die irische Regierung aber auch, es sich nicht mit der EU zu verscherzen.
Apple-Entscheidung der EU ist heuchlerisch
Die Motive hinter der Entscheidung der EU-Kommission sind allzu durchschaubar, schimpft der Journalist Alexandru Lazescu in der Wochenzeitung Revista 22:
„Wenn es um große Staaten geht, zum Beispiel als Frankreich das Haushaltsdefizit überschritten hatte, wurde keinerlei Strafmaßnahme getroffen. … Es gibt eigentlich nur zwei wirkliche Motive für die Apple-Entscheidung: 1. Eine große Rolle spielt der Antiamerikanismus in Westeuropa, der durch Frustrationen bestärkt wird, dass Europa nicht wie die USA in der Lage ist, neue Spitzentechnologien hervorzubringen. … 2. Die europäischen Regierungen, die mit Rekorddefiziten zu kämpfen haben, weil ihre Sozialprogramme nicht mehr zu bezahlen sind, sehen in der aggressiveren Besteuerung der multinationalen Firmen eine rettende Geldquelle. Mit einem Bonuspunkt: Maßnahmen gegen Multis sind in der Regel von der Öffentlichkeit gern gesehen.“
Irland widerspricht Brüssel zu Recht
Toll, dass endlich ein kleines EU-Land Brüssel klarmacht, dass die Mitglieder einer Wirtschaftsgemeinschaft nicht unbedingt gemeinsame Regeln brauchen, applaudiert Le Figaro:
„Griechenland mit seinem Olivenöl ist nicht Deutschland mit seiner Spitzenindustrie. Und das ist der Grund, warum - wie es der [konservative Ökonom und Politikberater] Henri Guaino in seinem meisterhaften Buch En finir avec l'économie du sacrifice schreibt - 'Europa zu einem wahrhaftigen Labor dieses Prozesses wird, an dem die Globalisierer hängen, die Konvergenz durch Politisierung erreichen wollen … Die fehlerhafte Konstruktion gibt der Vielfalt an Präferenzen, Erwartungen und Bedürfnissen jedes Mitgliedslands keinen Raum.' Daher ist es im Zuge des Urteils gegen Apple wohltuend, dass ein kleines Land wie Irland Brüssel eine lange Nase dreht, indem es erklärt, dass es sich sein politisches Schicksal nicht von Technokraten diktieren lässt, die besessen sind von Normenkonvergenzen und ihrem Hang dazu, alles global zu betrachten.“
Dublin darf EU-Partner nicht vergrämen
Die irische Regierung sollte in dem Streit mit Brüssel sachlich bleiben, denn sie wird beim Verhandeln eines Brexit-Abkommens der EU mit Großbritannien auf das Wohlwollen ihrer Partner angewiesen sein, mahnt Kolumnistin Colette Brown im Irish Independent:
„Die irische Regierung spielt ein gefährliches Spiel, indem sie ihre Einwände gegen die EU-Entscheidung mit einer spaltenden und militanten Sprache vorbringt. Wenn der Brexit letztlich verhandelt wird, wird die Regierung genau jene Länder, die sie nun anschwärzt, anflehen, unsere spezielle Beziehung mit Großbritannien anzuerkennen. Ich bin keine Diplomatin, doch wenn wir ein für uns günstiges Brexit-Abkommen anstreben, dann mutet es als eigenartige Strategie an, andere EU-Staaten als gierige Verräter zu verunglimpfen, die sich verschworen haben, um unsere Wirtschaft zu zerstören. ... Der EU den Mittelfinger zu zeigen ist nicht wirklich eine Option - außer wir haben eine Art nationalistische Todessehnsucht.“
Irlands verrückter Verzicht auf Geldregen
Dass Irlands Finanzminister Michael Noonan das Urteil der EU-Kommission anfechten möchte, kann die Tageszeitung Irish Examiner nicht nachvollziehen:
„Noonan ist bereit, Geld der Steuerzahler in Millionenhöhe dafür auszugeben, dass Irland unter Hinzurechnung von Strafzahlungen nicht insgesamt bis zu 20 Milliarden Euro von Apple erhält. Wenn das Urteil der EU-Kommission nicht angefochten und exekutiert wird, dann gibt es allen Grund zu der Annahme, dass es auch auf andere multinationale Konzerne angewendet werden könnte. Das wiederum könnte Irland noch größere Milliardenzahlungen bescheren. Wer kann so verrückt sein, einen solchen Geldregen ablehnen zu wollen? Insbesondere angesichts der Tatsache, dass wir [zur Rettung von Banken in der Finanzkrise] Milliarden Euro an Wertpapierinhaber zahlen mussten, was nur durch jahrelange Sparprogramme möglich war.“
Schädlicher Alleingang der EU-Kommission
Mit ihrem Vorgehen im Fall Apple schafft die Kommission Unsicherheit, klagt The Economist:
„Firmen, die in Europa investieren, werden sich zu Recht fragen, welche anderen Vereinbarungen, die mit Regierungen getroffen wurden, rückwirkend aufgelöst werden können. ... Die EU-Kommission ist beim Kampf gegen ungeheuerliche Steuerhinterziehung und Steuervermeidung gar nicht hilfreich, wenn sie mit neuen Argumenten Abkommen bekämpft, die vor langer Zeit geschlossen wurden. Irland und andere bereitwillige Staaten wie Luxemburg oder die Niederlande haben internationalem Druck bereits nachgegeben und eine Reihe von Steuerschlupflöchern der Vergangenheit geschlossen. Die OECD, eine Vereinigung reicher Staaten, ist vor einem Jahr beim Festlegen neuer Richtlinien im Kampf gegen Steuervermeidung vorangegangen. Mit ihrem Alleingang droht die EU-Kommission eher Konflikte anzuheizen als Kooperationen zu fördern.“
So macht sich die EU bei Bürgern wieder beliebt
Die Entscheidung der EU-Kommission ist in mehrfacher Hinsicht richtig, schlussfolgert Delo:
„Obwohl die Steuerpraktiken seit vielen Jahren bekannt waren, haben Brüssel und die Regierungen der Mitgliedstaaten nichts Konkretes getan. Erst in Folge der Lux-Leaks-Affäre vor zwei Jahren, als herauskam mit welchen Deals multinationale Konzerne die Zahlung von Steuern vermieden, reagierte die europäische Politik. ... Das Ende dieser skrupellosen Steuerpraktiken könnte auch das Vertrauen der europäischen Bürger in ein System stärken, das bislang offenbar den Großen das Verstecken ihres Gewinns ermöglicht, die Kleinen jedoch schröpft. Auch die harte Haltung Brüssels, vor allem der Kommissarin Margrethe Vestager, die sich trotz des Drucks aus Washington für diesen riskanten Schritt entschied, könnte den immer stärker zweifelnden Bürgern zeigen, welche Vorteile die EU hat.“
EU-Kommission nicht zum Sündenbock machen
Die Entscheidung der EU-Kommission, dass Apple in Irland Steuern nachzahlen muss, hätte ein Anstoß für eine grundlegende Änderung des irischen Wirtschaftsmodells sein müssen, meint Äripäev:
„Die Reaktion der irischen Regierung, die das Steuergeld von Apple nicht will und gegen die Entscheidung klagen möchte, zeigt, dass die alten Wirtschaftsmodelle zäh sind. Man will keine Hebel aus der Hand geben, die auch nur wenige Arbeitsplätze ins Land bringen. ... Laut Washington Post hat jeder von Apple geschaffene Arbeitsplatz den irischen Staat 220.000 Dollar im Jahr gekostet. ... Die Bedingungen dieser Vereinbarung wurden von Apple-Beratern ausgearbeitet, denn die irische Steuerbehörde war dazu nicht in der Lage. Durch das irische Steuerloch sind auch anderen Staaten mögliche Steuereinnahmen entgangen. Den Ärger bekommt aber die EU-Kommission, die sich durch die Hintertür der staatlichen Beihilfen in die Steuerangelegenheiten eingemischt hat.“
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte
Von dem Steuerstreit könnte vor allem ein Land profitieren, prophezeit Corriere del Ticino:
„Hinter Apple steht eine Schar von Multinationalen, die Milliardengewinne in den kleinen europäischen Steuerparadiesen und mehr oder minder exotischen Orten geparkt haben, um weniger Steuern zu zahlen (die OECD spricht von 240 Milliarden, laut anderer Schätzungen übersteigt die Summe 1.000 Milliarden). Diese Multikonzerne warten gespannt darauf, wie der europäische Steuerstreit mit Apple enden wird, um dementsprechende Vorkehrungen in ihrer eigenen Steuerplanung vornehmen zu können. Und wem käme eine Abschaffung der attraktiven Steuerpolitiken einiger EU-Mitgliedstaaten zugute? Wenn der Binnenmarkt der Post-Brexit-Ära die Teilnahme Großbritanniens vorsieht, ohne dem Land das Korsett der Brüsseler Regeln anzulegen, könnte London von der neuen Lage profitieren.“
EU zeigt Stärke gegenüber USA
Mit ihrer Entscheidung hat die EU-Kommission dem Druck aus den USA widerstanden und ist nun Vorbild auch für andere Weltregionen, bemerkt der Tages-Anzeiger:
„Afrikanische Länder, Staaten im Nahen Osten und auch Indien können nun ausgehend von der EU-Kommission ebenfalls Klagen erheben, denn auch ihnen entgingen Steuern, die Apple nach Irland verschoben hat. Am stärksten aber dürfte der Entscheid auf die Beziehungen zu den USA durchschlagen. Die US-Regierung drohte der EU vor kurzem offen mit einem Steuerstreit und warnte davor, die Gewinne der US-Multis in Europa abzuschöpfen. Es scheint, als ob sich das US-Finanzministerium zum Fürsprecher der Multis gemacht hat und die Pläne für eine internationale Koordination der Unternehmenssteuern behindern will. Der Eindruck mag täuschen, doch hat die EU-Kommission mit ihrem Entscheid den Bluff der Amerikaner angemessen beantwortet.“
Auch Giganten sind nicht unantastbar
Erfreut über die Nachzahlungsforderung an Apple zeigt sich Pravda:
„Der Kern der Botschaft der Europäischen Kommission verheißt: 'Wir kriegen Euch'. ... Irland ist zwar kein Steurparadies, hat aber einen der niedrigsten Steuersätze. ... Apple hat das jahrelang ausgenutzt, zahlte 2014 nur noch 0,005 Prozent Steuern auf seine Gewinne in Europa. Die Auseinandersetzung darüber kann Jahre dauern. Die EU-Kommission hat dabei aber die europäische Öffentlichkeit an ihrer Seite. Die nämlich muss ihre Steuern ohne spezielle Erleichterungen zahlen und den Gürtel für ein schöneres Morgen immer enger schnallen. Währenddessen sind die Regierungen zu Geiseln von Vorständen riesiger Unternehmen geworden, die ihre eigenen Gesetze und Regeln diktieren.“
Steuern in Europa jetzt angleichen
Mit dem Fall Apple steht die EU vor dem Scheideweg, was ihre Steuerpolitik betrifft, erklärt El Mundo:
„Die 13 Milliarden Euro sind nicht nur ein Problem zwischen der irischen Regierung, Apple und Brüssel. In einer Wirtschaftsunion wie der europäischen betrifft diese Angelegenheit die Gesetzgebung der restlichen Mitglieder: es geht um Angleichung der Steuern. ... Unabhängig davon, was die Justiz entscheidet, zeigt der Fall Apple die Notwendigkeit, die Steuerangleichung in Europa entschieden voranzutreiben. Denn eine echte Wirtschaftsunion kann es nicht geben, solange Regierungen niedrige Sätze nutzen dürfen, vor allem bei Gewerbesteuern, um Investitionen anzulocken. Die EU-Staaten müssen entweder ein einheitliches Steuermodell finden, um Fälle wie den von Apple oder anderen zu verhindern. Oder sie müssen eben mit allen daraus resultierenden Konsequenzen die Steuerhoheit der Staaten akzeptieren.“
Schwerer Imageschaden für Irland
Der Ruf Irlands als sicherer und berechenbarer Investitionsstandort steht auf dem Spiel, fürchtet The Irish Times:
„Irland hat sich stets als Staat mit einem rechtlich klar untermauerten Steuersystem präsentiert, das Unternehmen Sicherheit bietet. Das Urteil der EU zieht die Art und Weise, wie wir zumindest ein Riesenunternehmen besteuerten, zu Recht oder zu Unrecht in Zweifel. Und das bringt einen Imageschaden für Irland mit sich. ... Die Regierung wird darauf hinweisen können, dass Änderungen des Steuerrechts in den vergangenen Jahren einige der umstrittenen Steuervergünstigungen für Apple beseitigten. Doch das vernichtende Urteil der EU-Kommission zur Besteuerung Apples lässt der Regierung angesichts der großen Bedeutung ausländischer Investitionen für unsere Wirtschaft kaum eine Alternative als dagegen in Berufung zu gehen.“
Brüssel liegt wieder einmal völlig daneben
Die Entscheidung der EU-Kommission ist nicht nur unklug, sondern auch anmaßend, schimpft Daily Telegraph:
„Der Umgang der EU-Kommission mit Apple und Irland ist ein Paradebeispiel für das, was in der EU sowohl wirtschaftlich als auch politisch falsch läuft. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das strafende Vorgehen bei der Besteuerung hoch mobiler internationaler Konzerne eine Selbstverletzung: Solche Unternehmen können und werden in andere Staaten abwandern, die ihnen nicht so viel Steuern wie möglich abpressen. Aus politischer Sicht ist es eine Brüskierung der Demokratie, dass sich die nicht gewählte EU-Kommission in Brüssel anmaßt, Irlands Regierung zu diktieren, welche Steuern diese einzuheben hat. Dieses Vorgehen ist überdies nicht auf kleine Staaten beschränkt: Vergangene Woche warnten einige Führer der EU Großbritannien davor, die Körperschaftssteuer weiter zu senken.“