Orbán und Kaczyński knöpfen sich die EU vor
Eine „kulturelle Gegenrevolution“, um die EU zu retten - das hat PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński auf einem Wirtschaftsforum im polnischen Krynica gefordert. Ungarns Premier Orbán trat dort ebenfalls auf und äußerte sich ähnlich. Einige Kommentatoren bemerken mit Blick auf den Brexit, dass die EU-Kritik der osteuropäischen Politiker im Kern richtig ist. Für andere liegen die beiden mit ihrer Analyse daneben.
EU der zwei Geschwindigkeiten ist die Zukunft
Die Kritik der Visegrád-Staaten an der derzeitigen Struktur der EU zeigt einmal mehr, dass die Union in ihrer derzeitigen Form nicht weiterbestehen kann, meint Financial Times:
„Die Verhandlungen rund um den Brexit sollten als Chance genutzt werden, eine zweistufige EU zu schaffen, die diese Bedenken berücksichtigt. Die erste Stufe könnte bei der weiteren politischen Integration vorpreschen und das seit langem bestehende Ziel einer immer engeren Union in Europa verfolgen. Die Länder in der zweiten Stufe würden lediglich dem Binnenmarkt angehören und bei der Außen- sowie Sicherheitspolitik kooperieren. ... Es wäre der Sache sehr dienlich, wenn Europas politische Führer anerkennen würden, dass einige der britischen Beschwerden über die EU von ziemlich vielen geteilt werden. Anstatt die derzeitigen Strukturen um jeden Preis zu erhalten, sollten sie eine zweistufige Union gestalten, die möglicherweise alle zufrieden stellt.“
Eine entlarvende Analyse
Die Kritik von Orbán, Kaczyński und Co. an der Entwicklung der EU ist im Kern richtig, meint die Times:
„Europa ist in der Frage, wie und ob es über den Brexit reden soll, gespalten. Die Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien wollen die Gelegenheit nutzen, gründlich zu untersuchen, was Großbritannien fortgetrieben hat. Die meisten westlichen Staaten wollen den Brexit nicht auf der offiziellen Agenda des EU-Gipfels nächste Woche sehen. Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass die EU auf die Themen Sicherheit und Zukunft fokussiert ist. ... Europa ist damit gescheitert, die Zuwanderung zu begrenzen und ein stetiges Wirtschaftswachstum sicherzustellen, und genau deshalb haben sich die Briten von Europa entfremdet. Ihre Bedenken werden auf dem gesamten Kontinent geteilt. Keine Frage, Orbán hat sich der ausländerfeindlichen Rechten angebiedert. Doch wenn er erklärt, dass aufeinander folgende Krisen Westeuropa als 'reich und schwach' entlarvt haben, dann kann man dem kaum widersprechen.“
Gut, wenn sich der Osten wehrt
Die EU leidet an einem Ungleichgewicht der Mächte und Orbán und Kaczyński wollen dem zu Recht ein Ende setzen, lobt Rzeczpospolita:
„Westeuropa verteidigt sich schon seit Langem gegen die 'Rückständigkeit' seiner östlichen Nachbarn. Indem es einen politischen Kulturkampf führt, blockiert es den realen Einfluss des Ostens auf die Entscheidungsprozesse. Die Konzentration der Macht innerhalb der EU ist die wesentliche Ursache für die gegenwärtige Krise. Dadurch soll unter anderem verhindert werden, dass andere Ideen eingebracht werden, die aus unserem Teil Europas stammen. Dies hat letztlich zum Brexit geführt. Denn sogar Großbritannien ist ein Opfer dieser zentralistischen Politik geworden.“
Orbán und Kaczyński leiden unter Denkfehler
Die Ideen der beiden Politiker laufen den Interessen Polens letztlich zuwider, meint hingegen Newsweek Polska:
„Seit den Zeiten de Gaulles ist die Integration immer vorwärts gegangen. Eine gemeinsame Währung wurde geschaffen und die jetzige Eurokrise zwingt zu einer wirtschaftlichen Integration. Die PiS will versuchen, diese Entwicklung wieder rückgängig zu machen. Das führt zu Folgendem: Weil die Länder, die bereits stark integriert sind, diesen Prozess nicht umdrehen werden, wird Polen noch stärker an den Rand gedrängt werden. Denn dadurch erhält die internationale Zusammenarbeit wieder eine stärkere Bedeutung. Und der Einfluss der EU-Institutionen schwindet. ... Das Problem: Gerade diese Einrichtungen sind der Garant für das Gleichgewicht in der EU, das die kleineren und schwächeren Mitgliedsländer stärkt (denn Polen ist keine Macht). ... Grundsätzlich sorgen gerade sie dafür, dass die Gemeinschaft nicht von Deutschland und Frankreich dominiert wird.“