Nein zur Versöhnung in Kolumbien
Eine knappe Mehrheit der Kolumbianer hat im Referendum am Sonntag einen Friedensvertrag mit den Farc-Rebellen abgelehnt. 50,2 Prozent stimmten gegen das Abkommen, das den jahrzehntelangen bürgerkriegsähnlichen Zustand im Land beenden sollte. Kommentatoren suchen nach Antworten darauf, warum die Bürger mit Nein gestimmt haben.
Frieden kommt nicht auf Knopfdruck
Aus Erfahrung mit dem gescheiterten türkischen Friedensprozess mit der PKK glaubt Menschenrechtsaktivist Ömer Faruk Gergerlioğlu auf dem Onlineportal T24, dass Kolumbien noch nicht bereit ist für den Frieden:
„Die offensichtliche Wahrheit ist, dass das Abkommen für einen wichtigen Teil der Gesellschaft unverdaulich ist. Wenn mit knapper Mehrheit für das Ja gestimmt worden wäre, hätte der Frieden in kurzer Zeit zerbrechen und anschließend Pannen passieren können, die eine Wiederaufnahme behindert hätten. ... Daher ist dieses Resultat für einen dauerhaften Frieden vielleicht besser. Während des zweieinhalbjährigen Friedensprozesses in der Türkei hatte ich denselben Einwand. Ein Abkommen, erzielt nur zwischen Staat und Organisation, kann ohne gesellschaftliche Beteiligung nicht lange bestehen. In einem Umfeld, das durch den Staat viele Jahre lang vergiftet und in dem das gegenseitige Misstrauen ständig geschürt wurde, kann ein rein am Verhandlungstisch geschlossenes Abkommen keinen dauerhaften Frieden garantieren.“
Politik zeigt kein Interesse für Nöte des Volks
Warum die Kolumbianer nicht für den Friedensvertrag gestimmt haben, erklärt auch der australische öffentlich-rechtliche Rundfunk ABC:
„Viele Leute, die mit Nein gestimmt haben, sind wütend. ... Für sie hätte die Farc entweder mit Auslöschung oder mit Gefängnis bestraft werden müssen. ... Der große Anteil an Nichtwählern spiegelt derweil nicht nur eine allgemeine Entfremdung vom Friedensprozess, sondern auch ein länger bestehendes Misstrauen in die Politik wider. Die meisten Wähler kennen das schon: Ein Abkommen wird hinter verschlossenen Türen vereinbart und abseits des Wahlkampfs zeigen die Politiker wenig bis gar kein Interesse für die Nöte des Volks. Ironischerweise haben die Kriegstreiber auf allen Seiten stets behauptet, für das Volk zu kämpfen, doch genau das hat den Krieg ausgelöst und ihn immer weiter verlängert.“
Regierung hat sich verkalkuliert
Das Referendum wäre anders ausgegangen, wenn die kolumbianische Regierung einige strategische Fehler vermieden hätte, glaubt Daily Sabah:
„Diejenigen, die entschieden, mit der Farc zu verhandeln, waren offenbar nicht in der Lage, dem Volk zu erklären, was sie taten und warum. ... Sie hätten der öffentlichen Meinung mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. ... Nun ist die kolumbianische Nation fünfzig zu fünfzig geteilt und die Politiker werden über ein polarisiertes Land herrschen müssen. Zudem ist offensichtlich, dass es keine gute Idee war, in einer nationalen Angelegenheit einen ausländischen Mediator heranzuziehen. Man stellt sich immer vor, dritte Parteien seien unparteiisch und für den Frieden, doch das ist nur unsere Vorstellung. Es kann sein, dass sie eine komplett andere Agenda verfolgen und, während es so aussieht, als würden sie am Frieden arbeiten, eine tickende Zeitbombe schaffen.“
Kolumbianer stimmten nicht nur über Frieden ab
Genau wie in anderen Referenden wurde auch in Kolumbien nicht nur über die gestellte Frage abgestimmt, analysiert NRC Handelsblad:
„Es ging nicht nur um die Absprachen mit der Farc, sondern auch um die Popularität von [Präsident] Santos selbst, um den schlechten Zustand der Wirtschaft, über Gewalt in den Städten und über Drogenkriminalität. So wie häufiger der Fall, wurde auch bei diesem Referendum die eigentliche Frage von anderen Themen vernebelt. Das ist nie wünschenswert, und erst recht nicht, wenn es um einen komplexen und prekären Friedensvertrag geht. Santos spielte ein riskantes Spiel mit dem Frieden und verlor mit 49,78 Prozent gegen 50,21 Prozent. Dieses extrem knappe Ergebnis gibt auch Hoffnung. Denn auch die Nein-Wähler wollen Frieden, und ein großer Teil der Bürger könnte mit dem Vertrag leben. Es gibt also Raum für weitere Verhandlungen.“
Friedensprozess in der Sackgasse
Der ganze Friedensprozess ist jetzt in Gefahr, fürchtet die Politologin Gintarė Žukaitė in Verslo žinios:
„Die schlechte Nachricht ist die, dass die kolumbianische Regierung jetzt unter Druck steht, in einem neuen Friedensprozess die von der Farc begangenen Taten strafbar zu machen. Und die wesentliche Position der Farc in den bisherigen Verhandlungen war eben genau, dass die Kämpfer, die sich selbst ergeben, vor dem Gefängnis bewahrt werden sollen. Deshalb droht der Friedensprozess in einer Sackgasse zu enden. Die Vermittler der kolumbianischen Regierung und der Farc treffen sich auf Kuba, wo sie nach einem möglichen Ausweg suchen. [Präsident] Juan Manuel Santos erklärt den Frieden zu seiner obersten politischen Priorität. Die Führer der Farc sagen das Gleiche. Doch jetzt gibt es begründete Zweifel, ob ein Konsens möglich ist.“
Wille zur Aussöhnung bleibt bestehen
Auch wenn eine knappe Mehrheit in Kolumbien den Friedensvertrag mit der Farc abgelehnt hat, ist der Wille zum Frieden weiterhin vorhanden, freut sich Sydsvenskan:
„Präsident Santos ist nicht der einzige, der sein Ansehen eingesetzt hat, um das Friedensabkommen zu erzielen. Obwohl die Vereinigten Staaten die Farc immer noch als Terrororganisation ansehen, hat US-Präsident Barack Obamas Regierung den Friedensvertrag unterstützt und eine fast 50-prozentige Erhöhung der Beihilfe versprochen. ... Natürlich kann man argumentieren, dass Frieden auf lange Sicht nicht nachhaltig gewesen wäre, wenn ein großer Teil der Bevölkerung die Bedingungen als ungerecht ansieht. Aber die Beteiligung war auffallend gering, lag nur bei etwa 40 Prozent. Darüber hinaus haben starke Regenfälle das Wahlergebnis beeinträchtigt - angenommen wurde, dass die Ja-Wähler in den ländlichen Gebieten stärker sind. Glücklicherweise deutet nichts darauf hin, dass der Wille zum Frieden mit dem Regen weggespült wurde.“