Wird China in Davos zur neuen Supermacht?
Das Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos startet am Dienstag unter dem Eindruck der beginnenden US-Präsidentschaft Donald Trumps. Beobachter rechnen damit, dass Trumps Protektionismus die globale Wirtschaftsordnung auf den Kopf stellen und China die Globalisierung hochhalten wird.
China nutzt seine Chance
Dass mit Xi Jinping erstmals ein chinesischer Präsident am Weltwirtschaftsforum in Davos teilnimmt, deutet auf das Interesse Chinas hin, die USA als führende Globalisierungsmacht abzulösen, glaubt Christophe Weber, früherer Vertreter des Weltwirtschaftsforums in China, in Le Temps:
„Der Entschluss von Präsident Xi Jinping, Anfang 2017 nach Davos zu kommen, ist kein Zufall. Denn wenn der gewählte Präsident Donald Trump seine Äußerungen bezüglich der Aufkündigung diverser internationaler Handelsabkommen tatsächlich umsetzt, überlässt er das Feld anderen Nationen wie China, die im voranschreitenden Globalisierungsprozess eine dominierende Rolle einnehmen können. ... Angesichts der Abwesenheit von Vertretern der US-Administration ist Davos somit für Xi Jinping eine ideale Bühne, um seine Vision der derzeit entstehenden neuen Welt sowie ein Programm zu präsentieren, das vom Vakuum profitiert, welches ein möglicher protektionistischer Rückzug der USA hinterlassen würde.“
Weltmachtanspruch mit Hürden
Auch wenn der Auftritt von Xi Jinping in Davos Anderes suggerieren mag, China wird die USA so bald nicht als Weltmacht ablösen, analysiert die Neue Zürcher Zeitung:
„Die kommunistische Führung braucht den Grossteil ihrer Energie nach wie vor für innere Angelegenheiten; und das wird sich so bald nicht ändern. ... Ein wachsender Mittelstand möchte wohnen, reisen und gutbezahlte Arbeit finden. Wirtschaftlich hat China vor allem die tief hängenden Früchte geerntet; nun muss das System, das noch immer stark auf der staatlich gestützten Schwerindustrie und billigen Exporten fusst, dringend reformiert werden. ... Die Macht Chinas steht auf einem anderen Fundament als jene Amerikas. Die kommunistische Führung will niemandem ihre Weltsicht aufdrücken, sondern beweist, dass sie trotz Missachtung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit, ohne Rechtsstaat und trotz geringer Ausstrahlungskraft in der Welt vorankommt.“
Warten auf Twittermeldungen des Präsidenten
Donald Trump ist zwar in Davos nicht anwesend, doch er wird das Treffen der ökonomischen Weltelite beeinflussen wie kein anderer, sagt Hospodářské noviny voraus:
„Er wird seinen Eid zur selben Zeit leisten, da die Teilnehmer in die ungewisse Zukunft einer unsicheren Welt blicken und auf die neuesten Twittermeldungen des Präsidenten warten. Die Organisatoren mussten ihre Analyse für Davos völlig umschreiben. Dabei kamen sie zu der wenig überraschenden Aussage, dass die Wahl Trumps und der Brexit den Lauf der Welt in den nächsten zehn Jahren verändern werden. ... Trumps Antritt bringt die grundlegende Frage mit sich, ob wir nicht gerade eine Krise unserer bisherigen Demokratie als politisches Modell erleben. Und ob die Eliten von Davos nicht in einer völlig anderen Welt leben als ihre Wähler oder Angestellten. Dies ist die Schlüsselfrage. Trump könnte derjenige sein, der den Westen nötigt, umzudenken.“
Ein Forum für eine erschütterte Welt
Das Weltwirtschaftsforum in Davos steht im Bann einer lange nicht dagewesenen fragilen Lage der Weltpolitik, schlussfolgern die Salzburger Nachrichten:
„Den Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums fehlt es nicht an Stoff für Diskussionen, aber sie finden in einem völlig anderen Klima und politischen Umfeld statt als seinerzeit beim Kampf gegen die Finanzkrise. Nicht mehr das Gemeinsame steht im Vordergrund, sondern der Egoismus. Länder ziehen sich auf ihre Grenzen zurück, statt miteinander zu kooperieren. Der Nationalismus gewinnt zunehmend Oberhand gegenüber internationalen Lösungsansätzen. Die Wahl von Donald Trump ist ein Symptom für diese Entwicklung, ebenso wie der Ausgang der Abstimmung in Großbritannien über den Brexit. Die fragile Lage der Weltpolitik bestimmt aktuell die Einschätzung der Aussichten für die Weltwirtschaft.“
China gilt nun als Retter des Freihandels
Als erster Präsident Chinas reist Xi Jinping am Dienstag zum Weltwirtschaftsforum nach Davos. Dank Trump hat China die große Gelegenheit, eine Leerstelle zu besetzen, glaubt Corriere della Sera:
„Xi Jinping ist der angekündigte Star des Weltwirtschaftsforums von Davos in der Schweiz. Der chinesische Präsident wird von der Wirtschafts- und Finanzprominenz der Welt, die verunsichert ist durch die Gefahr eines Konfrontationskurses zwischen den USA und China, als der Retter des Freihandels erwartet. Morgen wird er über 'Re-Globalisierung' sprechen und eine 'Vision des gemeinsamen Schicksals der Menschheit' vorstellen. Eine Vision made in China. Die [Nachrichtenagentur] Xinhua präsentiert die Mission vielleicht zu Recht als bahnbrechend. ... Denn mit Trump, der auf die Karte des Protektionismus setzt, und Europa, das vom Populismus bedrängt ist, wird der chinesische Präsident, der offiziell zwar Kommunist, in der Praxis aber Kapitalist ist, als Retter in der Not begrüßt.“